Wieder einmal läuft alles gegen Lothar Matthäus. Während er im fast menschenleeren Baseler Stadion seine bulgarische Nationalmannschaft Konter üben lässt, das schnelle Umschalten von Verteidigung auf Angriff, wird im bulgarischen Verband gegen ihn intrigiert, von Funktionären, Spielern, Journalisten. Matthäus weiß das, aber was soll er tun? Drei Tage zuvor, am 2. September, hat Bulgarien 0:3 gegen England verloren, damit ist seine Mission, die Qualifikation zur Europameisterschaft 2012, gescheitert. Am nächsten Tag spielt Bulgarien hier in Basel gegen die Schweiz, eigentlich geht es um nichts mehr. Außer um seinen Job.
Auf der Tribüne sitzt sein Manager Wim Vogel und hat kein gutes Gefühl. Vielleicht wird er sich bald wieder auf die Suche machen müssen nach einem neuen Arbeitsplatz für den Fußballtrainer Lothar Matthäus, der in Deutschland schon länger unter »nicht vermittelbar« geführt wird.
»Was ist euer verdammtes Problem?«, fragt ein halbes Jahr zuvor, Mitte März, ein italienischer Sportjournalist auf einem Fußballplatz in Pravets, einem bulgarischen Bergdorf fünfzig Kilometer nordöstlich von Sofia. Der Journalist, sein Name ist Francesco Ceniti, ist eigens für die Gazzetta dello Sport mit einem Kollegen hierhergereist, er aus Mailand, der Kollege aus Rom, um »Il grande Lothar« zu interviewen: den zweimaligen Weltfußballer des Jahres, der mit Inter Mailand Italienischer Meister wurde und in Rom die Weltmeisterschaft errang. Den großen Lothar. Die beiden sitzen auf ramponierten Plastiksitzen, während vor ihnen der deutsche Fußballtrainer Lothar Herbert Matthäus, geboren am 21. März 1961 in Erlangen, seiner Arbeit nachgeht: Er trainiert die bulgarische Nationalmannschaft für ein Länderspiel drei Tage später. »Warum bekommt er in Deutschland keine Chance?«, fragt der Journalist, »ist es wirklich wegen den Frauen?« Sein Kollege lacht. »Das ist doch ein Witz! In Italien hat der Ministerpräsident Ärger mit den Frauen! Matthäus ist Fußballtrainer, was ist euer verdammtes Problem?«
Die Hochachtung, die Matthäus außerhalb Deutschlands erfährt, macht es ihm doppelt schwer, mit der Häme hierzulande zurechtzukommen. Niemand kann im Ernst behaupten, die deutschen Medien würden sonderlich fair mit Lothar Matthäus umgehen, die Berichterstattung zu seinem 50. Geburtstag zwei Tage zuvor bestand zu gleichen Teilen aus Hohn und Spott, online garniert mit Klickstrecken seiner dümmsten Versprecher und seiner gescheiterten Beziehungen. Das alles, wird Matthäus später im Hotel sagen, mache ihm nichts mehr aus. Klar. Was soll er auch sagen? Dass er jeden Tag kotzt?
Kurz vor diesem Treffen sagt Liliana Matthäus, die vierte Ehefrau, geboren am 11. Dezember 1987 als Kristina Tchoudinova in Tscherkassy in der Ukraine, Beruf: Model, in einem Interview, dass sie – man solle jetzt bitte nicht lachen – eigentlich auf intelligente Männer stehe.
Vom Weltfußballer zur Lachnummer der Nation, das ist die Geschichte des Lothar Matthäus. Eine Frage ist, wie es sich damit lebt. Eine andere, ob er da wieder herauskommt.
Das nämlich ist das Ziel: 2011 soll das Jahr werden, in dem Lothar Matthäus seinen Namen repariert, damit er endlich dorthin darf, wo er seiner Meinung nach hingehört: in die deutsche Bundesliga. »Lothar will in den Sportteil und raus aus den bunten Blättern«, gab Manager Vogel mit auf den Weg nach Bulgarien. 2010 war für Matthäus ein katastrophales Jahr, er war arbeitslos und seine vierte Ehe scheiterte – ein Fest für den Boulevard. Lothar und Liliana torkelten quälend lange durch Bild, Bunte, Sat1 & Co, sie stritten, trennten und versöhnten sich öffentlich, dann wurde Liliana von Paparazzi mit ihrem Liebhaber erwischt. Ein verwundeter Matthäus zog vor laufenden Kameras den Ehering ab und kündigte später via Bild an, Lilianas Busenverkleinerung nicht mehr zu bezahlen, nachdem er bereits die Vergrößerung bezahlt habe, und Liliana bereute auf Sat1, ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt zu haben. Es folgten die erneute Versöhnung, die erneute Trennung und schließlich die Scheidung.
So ein Trainer, über dessen Privatleben die Spieler in der Kabine witzeln, kann keine Autorität sein, da ist sich Fußballdeutschland einig. Im Herbst 2010 wird er aber Nationaltrainer von Bulgarien, Weltranglistenplatz 51.
Am Abend sitzt Matthäus im Trainingsanzug an der Bar des Hotels in Pravets, vor sich eine Flasche Heineken. Warum, Herr Matthäus, lacht ganz Deutschland über Sie? Seine Mundwinkel zucken, er verschränkt die Arme. »Die, die lachen, haben ein falsches Bild von mir. Das Bild, das sie aus den Medien kennen. Daran bin ich nicht ganz unschuldig, weil ich in den letzten Jahren öfter auf roten Teppichen war, als es einem Fußballtrainer ansteht, und zu viel zu Privatangelegenheiten gesagt habe.«
Eine Kellnerin bringt Schokolade. Matthäus reißt die Verpackung auf, bricht die Tafel in Stücke und isst sie in einem Rutsch auf. Er ist genervt. Immer dasselbe Thema. »Ich weiß, dass wir uns vor aller Augen blamiert haben. Aber anderen lässt man viel schlimmere Dinge durchgehen«, sagt er. »Ich will dem Franz nix Böses, aber der zeugt ein außereheliches Kind und bleibt der Größte.«
Allerdings hat der Franz, Franz Beckenbauer, auch andere Zeiten erlebt: Ende der Siebzigerjahre galt er als Karikatur seiner selbst, als eitler Pfau, der sich nur mehr in der Münchner High Society herumtrieb. »Vom Idol zum Reklamekasperl« titelte die Süddeutsche Zeitung damals über den »Kaiser«, und der Spiegel schrieb, dass keine Majestät mehr so tief gefallen sei, seit Wilhelm II. in Holland im Exil Bäume zersägt habe. Die Parallelen sind unübersehbar, Beckenbauer hat den Weg zurück geschafft.
Ein Offizieller des bulgarischen Verbands kommt an den Tisch, um mit Matthäus und dessen Assistenten Termine zu besprechen. Wenn er seine Nationalspieler beobachten will, muss Matthäus oft reisen, viele verdienen ihr Geld im Ausland, in Holland, England, Russland oder der Türkei. Matthäus weiß besser als der Laptop des Offiziellen, an welchem Tag Eindhoven in Enschede spielt oder Aston Villa gegen Stoke City. Er hat, so scheint es, den gesamten Spielkalender des europäischen Fußballs im Kopf. Er korrigiert den Mann freundlich grinsend. Lothar Matthäus weiß gern Sachen besser.
Die Bedingungen, mit denen er in Bulgarien konfrontiert wird, sind schwieriger als die in den meisten europäischen Ligen; um seine dort aktiven Spieler zu sehen, tingelt er wochenends über schlaglochübersäte Landstraßen, weicht streunenden Hunden aus und überholt Eselskarren. Der Verband gilt als korrupt und hat kaum Geld, Matthäus strich seinen Profis als Erstes die Businessflüge, damit spart er dem Verband, er rechnet es vor, etwa 100 000 Euro im Jahr. Aber er arbeitet in einem von Armut und Arbeitslosigkeit geplagten Land, und mit dieser Realität, erklärt Matthäus, muss er seine Ansprüche abgleichen, »und da sagt man eben: Okay, es gibt hier Wichtigeres«.
Kurz nach Mitternacht löst die Runde sich auf, und Matthäus bezahlt für alle, ohne große Geste. Am nächsten Tag steht er wieder als Nationaltrainer auf dem Platz, beobachtet, dirigiert und macht Ansagen, manchmal auf Deutsch, dann übersetzt sein Assistent, meistens spricht er aber Englisch. Über sein Englisch amüsiert Deutschland sich seit Jahren – Matthäus arbeitet damit seit Jahren, als Trainer und als Co-Kommentator. Im Ausland scheint man ihn besser zu verstehen, in jeder Hinsicht.
Lothar Matthäus fühlt sich seit Jahren ungerecht behandelt, im Grunde von ganz Deutschland, deswegen ist er zu einem Daueragitator in eigener Sache geworden: Noch während er eine Tür aufhält, erklärt er, er sei ein höflicher Mensch, es sei für ihn selbstverständlich, anderen Türen aufzuhalten. Er ist Lothar Matthäus, der ewig Unverstandene.
Mit einem Pfiff unterbricht er in Pravets das Training, eine Übung klappt nicht, er macht vor, wie sie geht. Drei Flanken, jede kommt exakt dort an, wo sie hinsoll. Er kann es noch. Matthäus lächelt. »Das hier ist seine Welt«, sagt Manager Vogel am Spielfeldrand, »nicht die roten Teppiche. Das müssen wir jetzt allen klarmachen.« Das Rezept dafür ist einfach: erstens raus aus der Welt des Klatschs, zweitens sportlicher Erfolg. Das ist ziemlich genau das, was auch Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und andere, die ihn für einen guten Trainer halten, seit Jahren raten. 2011 soll es so sein, nur müsste Bulgarien dafür auch mal gewinnen. Aber die nächsten beiden Spiele enden nur unentschieden. Das reicht nicht.
»Lothar, dich haben wir für das zweite Spiel eingeteilt«
Mitte April in Düsseldorf. »Hallo, ich bin die Ulla«, flötet eine blonde Frau Lothar Matthäus im Foyer des Hotels entgegen, in dem Sat1 die prominenten Mitspieler seiner Spielshow Länderkampf: Deutschland gegen Italien untergebracht hat. Matthäus lächelt irritiert. Ein Sat1-Mitarbeiter zieht ihn weiter, Vorbesprechung. »Wer war denn die?«, fragt Matthäus. Der Sat1-Mann grinst. »Ulla Kock am Brink, eine Moderatorin. Die ist in deinem Team.« Matthäus zuckt die Achseln und lässt sich weiterschieben.
»Bratwurst gegen Pizza«, so wirbt Sat1 für die Sendung, Johannes B. Kerner moderiert, und außer Matthäus und Kock am Brink werden aufseiten der Bratwurst auch Boris Becker und Schauspieler Hannes Jaenicke antreten, im italienischen Team unter anderem Schlagersänger Nino de Angelo, der schon im Besprechungsraum wartet und Matthäus fröhlich begrüßt.
»Also, Lothar«, sagt der Sat1-Mann dort, »dich haben wir für das zweite Spiel eingeteilt. Du sitzt auf einem Rad, das über Seilzug mit einem Kran verbunden ist. Sobald du trittst, geht das Rad nach oben, bis auf 30 Meter.«
Matthäus schüttelt den Kopf. »Mach ich nicht. Ich hab Höhenangst und übrigens auch Platzangst.«
»Aber das war doch abgesprochen«, sagt der Sat1-Mann. Matthäus-Manager Vogel schaltet sich ein: »Mein Fehler, hab ich nicht mit Lothar besprochen. Kann das nicht jemand anderes machen?«
»Der Jaenicke?«, schlägt Nino de Angelo vor.
»Genau, der Jaenicke soll«, sagt Matthäus, seine Gesichtszüge entspannen sich. Alle im Raum nicken. Der Jaenicke soll mal.
»Normalerweise gehe ich nicht in solche Sendungen, obwohl ich oft angefragt werde«, erklärt Matthäus später in einer Lounge im Hotel, vor sich einen Salat, und schaltet auf Expertenmodus – das ist der Matthäus, den man aus dem Fernsehen kennt: immer eine Spur zu wichtig. »Aber das heute, Deutschland gegen Italien, das ist was anderes. Ich hab lange in Italien gelebt, da bin ich Weltmeister geworden, und mit Johannes B. verstehe ich mich gut, uns verbindet was Besonderes.« Er sieht auf, prüfend. Weiß der Mann vom SZ-Magazin, dass er Kerner und dessen Frau miteinander bekannt gemacht hat? Er weiß es. »Richtig«, sagt Matthäus zufrieden und widmet sich wieder dem Salat, »so war es.« Dann muss der Promi Lothar, der nur noch der Trainer Matthäus sein soll, zur Sendung.
»Und jetzt alle Deutschland-Fans: Ausrasten!!!«, brüllt ein Aufheizer im Deutschland-T-Shirt in einer Düsseldorfer Halle ins Publikum. Neben ihm taumelt eine Bratwurst über die Bühne. Die Menschen auf den Rängen klatschen und wedeln freundlich mit Deutschland-Fähnchen. Dann beginnt der Spieleabend mit dem ehemaligen Weltfußballer Lothar Matthäus.
In jeder Werbepause wollen Menschen sich mit ihm fotografieren, »Lothar, hierher!«, brüllen sie, meist Männer um die dreißig oder vierzig Jahre. Sie alle hat er 1990 zu Weltmeistern gemacht, das haben sie ihm nicht vergessen. Er stellt sich geduldig neben jeden Bierbauch, lässt verschwitzte Arme um sich legen und lächelt in jede Handykamera. Lothar gehört allen. Wenn er einmal »Nein« sagt, schreien sie ihm »du Arschloch« hinterher.
Am Ende des Abends ist Deutschland Sat1-Länderkampfsieger, es regnet Konfetti, Boris Becker macht die Beckerfaust und Lothar Matthäus stemmt einen Pokal in die Höhe. Dann klatscht er die Bratwurst ab.
Vor zwanzig Jahren hätte es etwas Magisches gehabt, Boris Becker und Lothar Matthäus im gleichen Team zu sehen. Heute gehören sie als »Bobbele« und »Loddar« zum festen Spott-Inventar des Landes, Kategorie: alternde, für Onlinepoker werbende Ex-Sportler mit jungen Frauen. Matthäus sieht das ein wenig anders: »Ich suche sportlichen Erfolg, und der Boris, wir kennen uns, verdient sein Geld mit der Verwertung seines Privatlebens.«
In den Wochen vor und nach dieser Sendung stellt sich heraus, dass Matthäus es mit seinem Abschied vom roten Teppich und der Welt der Boulevardmedien nicht sonderlich ernst meint: Ob Gala im »Bayerischen Hof«, Party im Berliner »Soho House« oder die Eröffnung der neuen Terrasse der Münchner Disco »P1« – Lothar Matthäus ist dabei, gern mit seiner neuen Freundin Ariadne Ioannou, geboren am 10. April 1987 in Limassol auf Zypern, Beruf: Studentin der Psychologie. Außerdem wird im Lauf der Recherchen klar, dass auch Matthäus, ähnlich wie Becker, seinen Prominentenstatus in eine Art Geschäftsmodell gegossen hat: Für sein Mitwirken an Veranstaltungen wie dem Sat1-Länderkampf in Düsseldorf nimmt er Geld. Als er mit Freundin Ariadne einem Fernsehsender ein erstes exklusives Interview aus dem angeblichen Liebesurlaub in Paris gab, hatte der Sender die beiden erst nach Paris eingeladen. Und dann war Matthäus Anfang März noch in Tschetschenien, wo er auf Einladung des dortigen Machthabers Ramsan Kadyrow – international wegen Missachtung der Menschenrechte, wegen Folter und Auftragsmorden geächtet – ein Fußballspiel mit anderen ehemaligen Fußballstars, vor allem Brasilianern, bestritt. Zwar ließ Kadyrow verbreiten, die Spieler seien »aus Respekt vor dem tschetschenischen Volk« gekommen, sprich: ohne Gage, und Matthäus, der in Kadyrows Team kickte, beteuert bis heute, kein Geld bekommen zu haben. Dann wäre er aber die Ausnahme: Einer der brasilianischen Ex-Nationalspieler entschuldigte sich öffentlich dafür, Geld genommen zu haben, eine brasilianische Zeitung berichtete sogar, jeder Spieler habe etwa 215 000 Euro bekommen.
Hat Matthäus das nötig? Hinter ihm liegen vier Scheidungen, er hat drei Kinder, ist viel unterwegs und führt ein teures Leben: die besten Hotels, in denen er auch mal monatelang wohnt, ausgesuchte Restaurants, Designerkleidung. Ex-Frau Liliana beziffert die gemeinsamen monatlichen Ausgaben in einem Anwaltsschreiben nach der Scheidung auf etwa 30 000 Euro. Andererseits hat er hohe Einnahmen, allein der Vertrag mit einem Wettanbieter bringt ihm eine halbe Million Euro, sein Gehalt als Nationaltrainer dürfte nicht weit darunter liegen. Und trotzdem lässt er sich von der Bunten seine Geburtstagsparty in einem Münchner Restaurant bezahlen – eine Sache, die an Verworrenheit kaum zu übertreffen ist: Erst sagt Matthäus, er wolle weniger in der Bunten vorkommen, dann bietet er ausgerechnet dort die exklusiven Fotorechte zum Kauf an. Prompt gibt es Irritationen, angeblich weil auf Matthäus Gästeliste mehr Ex-Frauen standen, als tatsächlich erschienen. Dann druckt das Blatt im Heft eine große Fotostrecke samt Interview und der Überschrift »So feiern Sieger«, aber das Cover genau dieser Ausgabe ist eine Ohrfeige für ihn: »Lothar Matthäus: Scheidungs-Betrug?« steht groß neben seinem Foto.
Ein paar Tage zuvor war bekannt geworden, dass Liliana Matthäus die Rechtmäßigkeit der Scheidung juristisch anzweifelt. Die Staatsanwaltschaft entschied aber schnell, dass die Scheidung rechtskräftig sei. Doch da hatten die Bunte-Leute schon hektisch den Scheidungsbetrug aufs Cover geschrieben. »Eine solche Bombe«, entschuldigen sie sich später bei Matthäus Manager, hätten sie einfach machen müssen. Das Heft erscheint, als Matthäus sich in Pravets auf das Länderspiel gegen die Schweiz vorbereitet. »Das ist ein No-Go, kein Fairplay, nichts!«, beschwert er sich an der Hotelbar, »die Journaille darf in Deutschland alles! Das ist doch Verleumdung!«
Aber wie viel Mitleid muss man mit jemandem haben, der sich dieser People-Maschinerie selbst aussetzt – ja: der sie in Gang setzt, aus finanziellem Interesse?
Matthäus lebt, wie er Fußball gespielt hat: nie grübeln, nie zurückschauen.
Ende Juni in Köln. In der Lanxess Arena setzt ein Pfeifkonzert ein, als Moderator Johannes B. Kerner »unseren Rekordnationalspieler Lothar Matthäus« live auf Sat1 und in der Halle begrüßt. Hier verteidigt an diesem Abend Boxweltmeister Felix Sturm seinen Titel. Lothar Matthäus reagiert auf die Pfiffe mit spitzem Schmunzeln, er möchte souverän wirken: Sollen sie doch pfeifen. An seiner Seite ist wieder eine neue Freundin, Joanna Tuczynska, geboren 1984 in Posen, Beruf: Dessousmodel. Ein Pulk aus Bodyguards und Kamerateams bahnt ihnen den Weg, und sie nehmen in der ersten Reihe Platz, direkt am Ring, die Plätze, die Prominenten vorbehalten sind. Weder die Karten noch die Übernachtung im Hotel müssen sie bezahlen.
Es ist der erste große gemeinsame Auftritt von Matthäus und seinem »neuen Pokal«, wie die Bild-Zeitung das Model nennt, der erste gemeinsame Ausflug ins Scheinwerferlicht. Schon am Nachmittag vor dem Boxkampf lässt er sich mit Joanna Tuczynska im Hotel für die Bunte fotografieren – obwohl er die Zeitschrift wegen des »Scheidungsbetrug«-Covers am liebsten verklagt hätte. Ein paar Wochen später wird Joanna in der Bild am Sonntag groß als »Lothars Sommermädchen« vorgestellt, samt Fotoshooting in Rio de Janeiro – obwohl Bild wenig vorher noch seine jetzige Ex-Freundin Ariadne Ioannou behaupten ließ, er habe ihr zu einer Nasenoperation geraten und sortiere außerdem seine Joghurts nach Ablaufdatum im Kühlschrank.
Matthäus selbst erklärt vor dem Boxkampf, den Kontakt mit den Boulevardmedien könne er nur »langsam herunterdimmen – ausknipsen geht nicht«. Tatsächlich will Lothar Matthäus diese Welt ganz einfach nicht verlassen, weil diese Welt längst seine Welt geworden ist und ihm vieles einbringt: Freunde, Anerkennung, Aufmerksamkeit, Geld, junge hübsche Frauen. Über die unangenehmen Seiten regt er sich auf, danach steckt er den Ärger weg und macht weiter wie bisher: Er verabredet »schöne Geschichten« mit denselben Medien, die ihn gerade noch öffentlich vorgeführt haben – im Glauben, die Sache im Griff zu haben.
Lothar Matthäus lebt, wie er Fußball gespielt hat: nie grübeln, nicht zurückschauen, einfach weiter. Auf dem Fußballplatz ist es eine Stärke, alle Zweifel an sich zu ignorieren. Im Leben eher nicht.
Direkt nach dem Boxkampf verlassen Matthäus und Joanna Tuczynska die Lanxess Arena. Ein bisschen später sitzen die beiden bei Wodka Red Bull und Erdnussflips in einem Kölner Club. Sie haben sich bei seinem 50. Geburtstag kennengelernt, und sie hat, sagt sie, von ihm damals nur gewusst, dass er einmal ein sehr guter Fußballspieler war. Ihn beeindruckte ihre Erscheinung. »Alle Männer haben ihr dort nachgeschaut – what a lady!«, sagt er, sie lacht, und er legt seine Hand auf ihr Knie. Aber nur er hat sie bekommen.
Ein Münchner Schönheitschirurg hat Matthäus und Joanna Tuczynska einander vorgestellt, ausgerechnet. Denn dieser Schönheitschirurg, so erzählt er es der Abendzeitung, hatte ihn auch schon mit Liliana und Ariadne bekannt gemacht. Liliana sagt, sie stehe eigentlich auf intelligente Männer. Ariadne sagt, alle lachen hinter seinem Rücken über Lothar. Hat Matthäus nicht das Gefühl, in einer Endlosschleife gefangen zu sein, hat er nicht die Angst, dass auch Joanna wieder öffentlich über ihn herzieht, falls das Zusammensein nicht funktioniert? Und nervt ihn das nicht? Lothar Matthäus zündet sich eine Zigarette an, es ist früh am Morgen inzwischen, er schließt die Augen und schüttelt den Kopf. »Kein Mensch denkt doch in dem Moment, in dem er sich verliebt, daran, wie es sein könnte, wenn man sich trennt. Oder?«
Nach der Trennung von Liliana spottete die Bild-Zeitung auf der Titelseite: »Der gehörnte Matthäus«. Als Matthäus, fast ein Jahr nach dieser Überschrift, in Düsseldorf vor dem Sat1-Länderkampf auf den Aufzug wartet, entdeckt er eine Ballerina-Statue – ein Bein und ein Arm der Figur sind steil nach oben gestreckt. Matthäus kniet sich grinsend davor. Die Umstehenden verstehen nicht. »Hier«, ruft er, »zwei Hörner – der gehörnte Matthäus!«
Er lacht selbst am lautesten über sein damaliges Unglück. Öffentliche Demütigungen scheinen abzuhärten. Was kann ihn schon noch treffen? Lothar Matthäus sagt über sich, er sei im Grunde glücklich. Er habe ein tolles Leben und sei in der ganzen Welt zu Hause. Vielleicht muss man ihm das alles glauben. Tatsächlich ist er, der eine Wohnung in Budapest hat und kaum drei Tage am Stück am selben Ort anzutreffen ist, mehr Weltbürger als all die, die sich über ihn lustig machen. Möglicherweise täuscht auch der Eindruck, dass er sein privates Glück an der falschen Stelle sucht.
Aber sein öffentliches Leben, seine dauerhafte Präsenz in den Boulevardblättern, wird eine ernsthafte Trainerlaufbahn in Deutschland auch weiterhin verhindern.
Immer wieder, in Pravets, in Düsseldorf und in Köln, hat Lothar Matthäus gesagt, dass er mit Bulgarien endlich einmal die Früchte seiner Arbeit als Trainer ernten wolle. Beim letzten Treffen Anfang September in Basel scheint das nicht besonders wahrscheinlich. Sowohl im bulgarischen Verband als auch in Teilen der Mannschaft wird nach der verpassten Europameisterschaft Stimmung gegen ihn gemacht. Matthäus beharrt darauf, dass es weitergeht: »Der Vertrag mit mir wurde per Handschlag verlängert«, sagt er in einem Hotel in der Baseler Altstadt und zeigt, wie zum Beweis, eine Liste: die Namen der Spieler, mit denen er die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien bestreiten möchte. Wenn man ihn denn lässt.
Am Tag darauf verliert Bulgarien auch gegen die Schweiz – damit hat Matthäus’ Team unter ihm nur ein einziges Pflichtspiel gewonnen. Trotzdem verlässt Lothar Matthäus Basel als bulgarischer Nationaltrainer. Im Moment ist das fast mehr, als er erwarten kann.
Fotos: Armin Smailovic