Hand-made in Germany

Früher raunten wir uns die Namen junger Künstler zu. Heute sind es die von Handwerkern: Regale, Paravents, Bilderrahmen - alles soll einzigartig und irgendwie persönlich sein.

Ich werde den Geruch nie vergessen, aber so ist das wohl als Kind. Es war ein Duft, der mir aus dem alten Steinboden direkt in die Nase stieg. Es roch nach Zeit, der Zeit, die vergangen war in diesem Raum, seit man ihn zum letzten Mal benutzt hatte, wie an den klebrig gewordenen Spinnweben zu sehen war, die zwischen den staubbedeckten Arbeitstischen aus Holz gespannt waren. Und eingebettet in die Zeit ein Hauch von Wachs, wie das Parfum der Politur, mit der man die Geigen, die in diesem Raum gebaut worden waren, auf Hochglanz gebracht hatte.

Dieser leise Moment in der Musikinstrumentenfabrik meiner Großeltern, in die ich mich erneut beim Versteckspiel mit meiner Cousine Karin verirrt hatte und in der ich wie benommen die Atmosphäre einer vergangenen Epoche einatmete, ist mir Jahre später als passendes Bild für den angestaubten Zustand des Handwerks in unserer Zeit in Erinnerung gekommen.

Jetzt stehe ich in der Schuhmanufaktur Scheer & Söhne in Wien, wo vor den abblätternden Wänden im Regal die Leisten mehrerer Jahrhunderte auf die Meisterhandwerker an ihren Bänken herabblickten – als wollten sie sagen: Seht nur, wir haben überlebt, und das, weil ihr euch nicht habt beirren lassen, einen anderen Weg als den der Lehre zu gehen. Ihr habt euch mit Händen gebildet, indem ihr zu formen bereit wart, und so dafür gesorgt, dass dieser eine Satz im Deutschen wahr geblieben ist: Handwerk hat goldenen Boden.

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Das war lange nicht so klar. Noch in meiner Jugend standen Handwerker im zweifelhaften Ruf, überbezahlte Nothelfer für die schlimmsten Katastrophen des Alltags zu sein: Ob Rohrbruch, Stromausfall, ein leckes Dach – immer kamen sie zu spät, beschwerten sich, waren schlecht gelaunt, stellten utopische Beträge in Rechnung und verschwanden wieder aus dem Leben. Alles andere war Kunsthandwerk, fiel unter anachronistische Betätigung und war als niedliches Gaukler-Schauspiel auf heubestreuten Mittelalter-Jahrmärkten zu sehen: Seht doch, die Harlekine, wie sie drechseln, deichseln und trickseln, und am Ende kommt dabei ein stattlich Ding heraus. Holzspielzeug wurde von Sträflingen als Beschäftigungstherapie hergestellt, und abgesehen von maßgeschneiderten Hemden und einem Paar rahmengenähter Schuhe gab es keine Objekte in unserem Alltag, die den Namen Handwerk verdient hätten.

Das hat sich zum Glück in den letzten Jahren geändert. Plötzlich machten überall Ateliers, Werkstätten und kleine Manufakturen auf, in denen Menschen zwischen zwanzig und vierzig stehen und unbeirrt ihrer Arbeit nachgehen. Das sind Schokoladengeschäfte mit selbst angerührtem, fair gehandeltem Kakao, ein Schreiner, der sich der Gestaltung des perfekten Regals aus nicht bedrohtem Holz verschreibt, ein Gärtner, der kunstvoll verwilderte Landschaften hinter das Haus pflanzen kann. Oder ein Parkettmacher, dessen außergewöhnliche Holzböden beides sind: alte Schule und neuer Esprit.

Was zunächst nur aussah wie eine zeitgeistige Begleiterscheinung der Loha-Bewegung, des Lebensstils also, der uns Bio-Supermärkte, Slow Food und Nachhaltigkeitsdenken gebracht hatte, scheint gesellschaftlich auf fruchtbaren Boden zu fallen: Auf einmal ist es spannend, sich für die Herstellung einfachster Alltagsgegenstände zu begeistern. Beim Kaffee interessiert nicht mehr nur der Feinheitsgrad der Mahlung, sondern auch das Zusammenspiel aus Wasser, Druck und Hitze in der allerbesten Maschine. Papier muss handgeschöpft sein und die Adressen des perfekten Visitenkartendruckers gibt man verschwörerisch weiter wie die Telefonnummer eines neu entdeckten Restaurants.

All die ästhetisch hoch talentierten Handwerker in dieser Ausgabe vereint große Leidenschaft für den Gegenstand ihrer Arbeit und eine unaufgeregte Zeitgenossenschaft, die nichts mit betulichen Traditionalismus zu tun hat. Sondern mit einem neuen Selbstverständnis, wie Qualität heute und auch in Zukunft aussehen sollte.

Was in der Vergangenheit mit der Manufaktur meiner Großeltern passiert war, ist Geschichte: Sie wurde in der DDR enteignet, dann verstaatlicht, und irgendwann stellte man die Produktion ein und ließ die Räume so zurück, wie ich sie dann als Kind vorgefunden hatte. Selbst jahrelanges Dahindämmern konnte der Halle nicht das Geheimnis ihrer Aura nehmen: das Verfertigen schöner Dinge von Hand.

Fotos: Dieter Eikelpoth