Falls Sie folgenden seltsamen Namen noch nie gehört haben, müssen Sie ihn sich jetzt sofort merken: Sukkulenten. So heißen die Pflanzen, die es schaffen könnten, endlich die Orchideen von den Fensterbänken zu vertreiben. Sukkulenten gefallen auch Menschen, die sich weigern, in ihren kargen Wohnungen etwas zu dulden, was an Natur erinnert und sogar lebt. Sie kommen so gut an, weil Sukkulenten in ihren schönsten Formen aussehen wie von einem Künstler der Moderne aus edlem Marmor gehauen.
Manchmal bilden sie Kugeln oder hohe Säulen, manche schützen sich mit Stacheln und Dornen, oder sie sehen einem kostbarem Kissen ähnlich. Andere werden von kunstvollen Blüten geschmückt. Und sie tragen poetische Namen wie »Königin der Nacht« oder »Lebender Stein«. Oder lustige wie zum Beispiel »Elefantenfuß«, »Schwiegermutterstuhl« oder »Hottentottenpopo«. Agave und Aloe Vera sind die bekanntesten, und eine kleine, aber berühmte Gruppe der Sukkulenten bilden die Kakteen. Kannte man Sukkulenten in den letzten Jahren nur als Dekorations-element in Wohnmagazinen – durch ihre Schlichtheit stehlen sie der Architektur nicht die Schau –, halten sie nun auch bei uns zu Hause Einzug. Die Züchter freuen sich über die gestiegene Nachfrage und verlangen für eine mannshohe Agave mehrere tausend Euro.
Warum Sukkulenten gerade jetzt so beliebt sind wie nie? Weil keine Pflanze besser zur derzeitigen Krise passt: Sie lebt sparsam und sieht dabei würdevoll aus – ein ideales Vorbild, egal wie schlecht die Zeiten sind; sie lässt die Blätter nicht hängen, ihre Oberfläche glänzt, gegossen werden muss sie kaum. Außer einem klugen Wasserspeichersystem haben Sukkulenten einen Wachsüberzug auf den Blättern, der die Verdunstung von Wasser verhindert. Eine Art pflanzliches Kamel in Barbourjacke.
Die Sukkulente hatte schon einmal eine Blütezeit: In den Fünfzigerjahren bezeugte sie ihrem Besitzer Weltläufigkeit. Wer im Sommerurlaub mit dem VW-Käfer zum Gardasee fuhr, brachte immer auch eine Agave mit über den Brenner. Die stand dann verloren im Vorgarten zwischen den Geranien im Wagenrad. Zwanzig Jahre später verstaubte der Geldbaum, eine günstige und pflegeleichte Variante der Sukkulente, in den Wintergärten. Nun aber haben die Sukkulenten den Muff abgelegt und stehen plötzlich für Perfektion und schlichte Eleganz. Wie angenehm zurückhaltend sie wirken, welch kühlen Glamour sie ausstrahlen!
An die 10000 verschiedene Sukkulentenarten sind bislang bekannt. Knapp die Hälfte davon eignet sich als Zimmerpflanze. Anders als bei der Orchideeninflation der vergangenen Jahre ist deshalb die Gefahr, die gleiche Dekoration gewählt zu haben wie etwa die besten Freunde, Kollegen oder auch der Zahnarzt, verschwindend gering.
Fotos: Cederic Porchez