SZ-Magazin: Herr Wiederspahn, warum sehen Lärmschutzwände in Deutschland so aus, wie sie aussehen?
Michael Wiederspahn: Das hängt ganz davon ab, wer sie errichten und unterhalten muss, wer also, fachlich korrekt ausgedrückt, Baulastträger ist. Weil das meistens die Bundesrepublik Deutschland ist, gibt es Instanzen wie den Bundesrechnungshof, die alle Aufwendungen überprüfen. Deshalb werden überwiegend die kostengünstigsten Lösungen realisiert – mit möglichst wenig Anspruch an jegliche Kriterien außerhalb von Wirtschaftlichkeit, Dauerhaftigkeit und Dämmwirkung.
Wer entscheidet, wie die Wände aussehen?
Lärmschutzwände sind Ingenieurbauwerke, in Bezug auf Gestalt und Konstruktion müssen sie zahlreichen technischen Regelwerken gehorchen. Sobald ermittelt worden ist, wo Lärmschutzwände errichtet werden müssen, auf welcher Länge und in welcher Höhe, verfasst das zuständige Straßenbauamt oder die Autobahndirektion die Ausschreibung: zehn Kilometer lang, drei Meter hoch, gedeckte Farbe – mit den Vorgaben zu den einzuhaltenden Dezibel-Werten. Da es auf diesem Markt viele Systemanbieter gibt, werden die Lärmschutzwände mehrheitlich nach Schema F gebaut. Und so sieht das Gros von ihnen dann auch aus. Ästhetisch anspruchsvollere Lösungen finden Sie, wenn überhaupt, nur in »sensibleren« Landschaftbereichen, im städtischen Kontext und natürlich dort, wo Kommunen oder Städte sich finanziell beteiligen.
Zum Beispiel?
An der Einfahrt zu einer Landeshauptstadt, in der Nähe von besonderen Gebäuden oder mitten in der Stadt. An solchen Orten ist das Potential für Konflikte um ein hässliches Bauwerk sehr viel größer als auf freier Strecke. Betrachten Sie zum Beispiel die Lärmschutzwand auf dem Weg zur Allianz-Arena in München. Sie wurde unter großem Aufwand von der Autobahndirektion Südbayern mit einem renommierten Münchner Ingenieurbüro geplant und besteht aus lauter gekrümmten und leicht versetzt angeordneten Aluminiumschalen. So etwas ist exorbitant teuer, sieht aber auch gleich sehr gut aus.
Oft sieht man hier und da eine türkise Latte, einen versetzten Glasbaustein oder ein extravagantes Türmchen. Wer denkt sich so etwas aus?
Das lässt sich, selbst wenn man explizit nachfragt, nicht immer herausfinden. In manchen Fällen haben das sicherlich Architekten entworfen, an anderen Stellen dürfte der Grund eher ein relativ banaler sein. Irgendein Firmen- oder Behördenmitarbeiter denkt sich dann wohl: »Zwanzig Kilometer graue Profile sind ein bisschen eintönig, spielen wir dort mal ein wenig mit Farbe.« Und weil Farbe ja auch wieder Geld kostet, wird diese »Gestaltung« dann auf ein oder zwei Abschnitte à fünf Kilometer Länge beschränkt. Und manchmal ist es einfacht nicht erklärbar.
Und das ist dann einfach so erlaubt?
Ja. Wichtig ist nur, dass bei ihrer beiderseitigen Anordnung keine Tunnel- oder Trogwirkung entsteht, dass die geforderten Schallschutzwerte erzielt werden und dass alle dynamischen und statischen Beanspruchungen aufgenommen werden können. Auch deshalb bemüht man sich generell darum, die Wände in ihrer Höhe und ihrem Verlauf zu variieren, im Übrigen auch, um Fahrern und Fahrgästen ein bisschen Abwechslung zu bieten und der Ermüdung vorzubeugen. Ähnliches gilt für die Glaselemente, deren Anordnung mitunter etwas wahllos erscheint: Sie sollen dafür sorgen, dass zwischendurch ein wenig Himmel oder ein Stückchen Wiese zu erblicken sind. Solche transparenten Elemente werden aus Kostengründen jedoch nur dort eingesetzt, wo es wirklich nicht anders geht. Auf Brücken zum Beispiel. Eine Wand aus Beton wäre hier viel zu schwer.
Welches Material wird besonders oft verbaut?
Das Haltbarste.
Aber welches Material diesen Ruf hat, ändert sich mit der Zeit, oder?
Völlig richtig. Die Wände müssen mehrere Jahrzehnte halten – und was in den Achtzigerjahren als besonders stabil galt, ist heute schon wieder überholt. Die Straßenbauverwaltungen müssen einmal jährlich alle Konstruktionen überprüfen. Bei Gabionen, so heißen die mit Steinen befüllten Drahtkörbe, ist das sehr aufwendig, da man in solche Wände nicht einfach hineinschauen kann. Deshalb sind sie eher seltener zu finden. Und bei den begrünten Dämmen ergibt sich das Problem, dass der zusätzliche Grunderwerb neben der Autobahntrasse oft schon viel zu teuer ist, verglichen mit der geringeren benötigten Stellfläche für eine Betonwand. Am beliebtesten ist infolgedessen alles, was ein einfaches Grundgerüst hat und sich im besten Fall bewachsen lässt. Aluminiumkonstruktionen oder Kombinationen aus Glas und Aluminium sehen häufig zwar gut aus, sind aber überwiegend zu teuer. Momentan ist jedoch Holzbeton stark im Kommen: eine Mischung aus Holzmehl und Beton, die den Vorteil hat, widerstandsfähig und schallabsorbierend zu sein und sich unterschiedlich gestalten und strukturieren lässt.
Gibt es eigentlich regionale Unterschiede bei dem Erscheinungsbild der Wände?
Ja, durchaus, als Ergebnis der Bemühung, möglichst örtlich vorherrschende Materialien und Erscheinungsbilder zu berücksichtigen. Führt eine Autobahn durch ein Gewerbegebiet tendiert man zu einer »industriellen« Anmutung. Führt sie durch waldige Abschnitte und befinden sich in der Nähe ältere Dörfer, versucht man Naturstein zu verwenden. Oft bleibt es aber bei der Bemühung: Viele Lärmschutzwände werden erst nachträglich errichtet, weil etwa Anwohner geklagt haben. Diese Wände sind meistens die mit Abstand hässlichsten, denn sie waren ja ursprünglich nicht vorgesehen. Sie hat also keiner vorher unter ästhetischen Aspekten entworfen, und es will sie im Prinzip niemand bezahlen.
Bemüht sich Deutschland mehr als andere Länder um ein erträgliches Aussehen von Lärmschutzwänden – oder eher weniger?
Deutschland ist, neben Österreich, sicherlich noch eines der ambitionierteren Länder. Schauen Sie sich etwa Frankreich, Spanien, Italien an: Was dort, im wahrsten Sinne des Wortes, hingestellt wird, erübrigt eigentlich jede weitere Diskussion. Was aber auch hierzulande noch fehlt, ist ein stärkeres Bewusstsein für die sogenannte Rückfront: Welchen Anblick genießen eigentlich die Menschen, die direkt hinter den Lärmschutzwänden wohnen und arbeiten? Qualität sollte hier in wesentlich umfassenderer Form als bisher eingefordert und realisiert werden.
Diplomingenieur Michael Wiederspahn ist Chefredakteur Fachzeitschriften »Brückenbau« und »Umrisse«.
Fotos: Juri Gottschall