SZ-Magazin: Herr Brownlee, Sie haben im Juli in Ihrem Youtube-Blog »MKBHD« das bis dahin geheime Display des neuen iPhone 6 präsentiert. Wie oft wenden sich Menschen an Sie, die behaupten, streng geheime Teile von unveröffentlichten Handys zu besitzen?
Marques Brownlee: Fast jeden Tag. Mein E-Mail-Posteingang ist manchmal ein einziges Chaos. Das meiste davon ist aber weder nachprüfbar noch besonders spektakulär.
Das war beim iPhone anders?
Ja. Das Display habe ich von einem befreundeten Blogger bekommen, der oft bewiesen hat, dass er geheime Teile auftreiben kann. Er hat selbst ein Video über das Display und das neue Material gemacht, das Saphirglas. Allerdings war er behutsamer. Als ich es in die Hände gekriegt habe, wollte ich ein paar intensivere Tests machen, es zerkratzen oder zerbrechen – was ganz schön schwierig war.
Das Video wurde mehr als sechs Millionen Mal angesehen. Weltweit haben Medien darüber berichtet. Hatten Sie damit gerechnet?
Ehrlich gesagt: Ja. Weil es ein iPhone war. Man kann das nicht mit ähnlichen Teilen von anderen Marken vergleichen. Sobald es um Apple geht, interessiert das plötzlich jeden. Außerdem ist das Saphirglas echt mal was Neues.
Man sagt, kaum eine Branche würde sich so rasant weiterentwickeln wie die der mobilen Geräte.
Stimmt. Aber gleichzeitig werden Innovationen dosiert. Man nennt das geplante Obsoleszenz, darüber habe ich vor Kurzem eine Arbeit am College geschrieben: Die Unternehmen kalkulieren schon im Vorhinein, wann ein neues Produkt obsolet werden soll. Man hält also neue Technologien zurück – damit das nächste Modell auch gekauft wird.
Zum Beispiel?
Ich bin ganz sicher, dass Apple, als die Firma das iPhone 5S entwickelt hat, schon jede Menge Design-Ideen hatte, diese aber erst mal nach hinten verschoben hat. Das Gleiche passiert bei HTC, LG oder Motorola. Anderes Beispiel: Das Samsung Galaxy S5 war keine große Verbesserung gegen-über dem S4. Nun erscheint das neue Galaxy Note, das jede Menge Innovationen hat, die dem S5 fehlten. Wieso? Geplante Obsoleszenz. Man kann nie beweisen, dass etwas schon früher marktreif war. Genau deshalb legen viele Unternehmen so großen Wert auf Geheimhaltung: damit man nicht nachweisen kann, woran sie arbeiten. Aber die Zulieferketten sind so lang und kompliziert, dass sich Leaks, also dass etwas durchsickert, nicht verhindern lassen.
Apple profitiert doch von der großen Aufmerksamkeit für das neue Display.
Das glaube ich auch. Die Menschen reden plötzlich über das neue iPhone. Ich habe jede Menge Kommentare gelesen, in denen stand, dass Apple mir das Teil mit der Bitte gegeben hätte, ein Video darüber zu machen. Was nicht stimmt.
Passiert so etwas denn manchmal?
Na klar. Kontrollierte Leaks sind für die Hersteller eine gute Möglichkeit, auf ein Produkt aufmerksam zu machen und gleichzeitig Kontrolle über die Informationen zu behalten, die im Umlauf sind. Es ist höllisch schwer, echte Enthüllungen von kontrollierten zu unterscheiden. Ich würde aber stark bezweifeln, dass Apple das je gemacht hat. Die legen Wert auf Geheimhaltung. Nachdem der Blog Gizmodo vor ein paar Jahren das iPhone 4 vorab präsentiert hatte, bekamen sie Post von Apples Anwälten.
Hat Apple auf Ihr Video reagiert?
Bis jetzt nicht. Allerdings: Wenn es in meinen Videos nicht um geheime Teile, sondern um die Schwachstellen von Geräten geht, reagieren die Hersteller sehr schnell darauf.Inwiefern?Wenn ich etwa ein Handy kritisiere, dauert es nicht lange, bis es auf Twitter heißt: »MKBHD hat da einen Fehler gefunden, wir arbeiten bereits dran.« Beim nächsten Update oder beim nächsten Modell ist das dann behoben.
Der ehemalige Vizepräsident von Google nannte Sie »den wichtigsten Technikkritiker auf dem Planeten«. Wie groß ist der Druck der Branche?
Druck spüre ich eigentlich nur von Firmen, die Werbung innerhalb meiner Videos schalten wollen und dafür jeden beliebigen Geldbetrag zahlen würden. Das mache ich nicht. Ansonsten hält sich das in Grenzen, von dem einen oder anderen Jobangebot mal abgesehen. Ich möchte aber jetzt erst mal das College abschließen und weiterbloggen.
Sie haben in den vergangenen Jahren Hunderte Geräte getestet: Tablets, Laptops und vor allem Handys. Welche technische Entwicklung hat Sie am meisten beeindruckt?
Ganz klar: die Kameras.
Nicht die Steuerung mit Augenbewegungen? Oder das Blättern mit dem Finger, ohne das Display zu berühren?
Diese Samsung-Features, die Sie ansprechen, sind sehr nett. Samsung möchte, dass wir glauben, wir würden das jeden Tag verwenden wollen. Das tut aber keiner. Fotos und Videos hingegen machen wir ständig. 2008 war ich ganz begeistert von der Kamera des »LG Voyager«-Smartphones. Die Bilder waren grauenhaft, aber es war ein Wunder, dass ein Handy Videos machen konnte. Und heute? Es gibt keinen Bereich, der sich ähnlich rasant entwickelt hat.
Und wo hapert es da am meisten?
Bei den Akkus. Ein Smartphone hält heute nicht länger als vor fünf Jahren. Die Akkus sind zwar besser geworden, aber die Telefone eben auch. Wir sind hier an eine Grenze gestoßen. Solange nicht eine völlig neue Technologie ins Spiel kommt, wird sich da leider nicht mehr viel tun, ohne dass die Dinger deutlich größer werden.
Was könnte das sein?
In Fachmagazinen lese ich oft, man habe nun den Druchbruch erzielt mit irgendeiner neuen Technologie. Ich bin skeptisch. Wenn überhaupt, würde ich sie im militärischen Bereich vermuten. Und es dauert lange, bis so etwas im Verbrauchermarkt ankommt.
Was wird das nächste große Ding? Smartwatches?
Ich habe Smartwatches getestet und sehe da schon Potenzial. Viele Leute sind es ja längst gewohnt, eine Uhr zu tragen. Andererseits: Junge Menschen lesen die Zeit eher von ihrem Handydisplay ab. Ich glaube, im Moment ist das eher etwas für Geeks wie mich. Und noch nicht für die Masse. Dasselbe gilt wohl für die Google-Brille.
Was muss passieren, damit ein Markt dafür entsteht?
Wer die Antwort darauf kennt, kann echt reich werden. Ich glaube, derzeit hat nur Apple die Kraft, so etwas gezielt auszulösen: Sobald die eine Smartwatch machen, entsteht ein Modetrend. Dann wird auch die Konkurrenz darin investieren.
Was sind Ihre Tipps für den Handykauf?
Sprechen Sie mit Menschen, die das Modell bereits benutzen. Das ist das Wichtigste. Wenn Sie niemanden kennen, gucken Sie bei Youtube.
Angenommen, ich möchte mein Handy vor allem für Fotos nutzen. Was soll ich kaufen?
Das iPhone 5S hat eine gute Kamera. Und sie ist sehr einfach zu bedienen. Wenn man sich aber wirklich für Fotografie interessiert und weiß, wie eine Kamera funktioniert, empfehle ich das Nokia Lumia 1020, ein Windows-Phone. Die Kamera ist fantastisch.
Gibt es Tablets mit guten Kameras?
Nö. Ich habe nie eines gesehen.
Was empfehlen Sie für Videos?
Da würde ich eher zu Android raten, etwa zum Galaxy Note oder zum LG G3.
Und wenn ich viel Musik hören will?
Wenn es um den Klang geht: das HTC One. Phänomenale Lautsprecher, bessere finden Sie nicht. Wenn Sie Kopfhörer verwenden, macht es kaum einen Unterschied, welches Telefon Sie nehmen.
Und wenn ich mich gar nicht so sehr für Technik interessiere, sondern vor allem telefonieren und SMS schreiben will?
Kaufen Sie ein iPhone 4. Die sind mittlerweile sehr billig. Und die kapiert wirklich jeder.
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Marques K. Brownlee
Der 20-Jährige studiert Technik und Wirtschaft in New Jersey. Aus seiner Wohnung in der Nähe des Campus produziert er seit 2008 Videos, in denen er neue Geräte ausgiebig testet und empfiehlt - oder verreißt. 1,5 Millionen Menschen haben seinen Youtube-Kanal »MKBHD« (aus Brownlees Initialen + High Definition) abonniert. Neben dem Studium und dem Videoblog betreibt Brownlee den Sport »Ultimate Frisbee« in der semi-professionellen Liga MLU.
Foto: Julian Baumann