Natürlich ist Pop nicht tot. Er ist unsterblich – als Konsumprodukt. Es wird bis in alle Ewigkeit neue Lady Gagas und neue Feuchtgebiete geben, neue Haie in Formaldehyd und neue Star Wars. Das Problem ist nur, dass dem Pop langsam die Ersten auszugehen scheinen, also die Protagonisten, die nie Dagewesenes schaffen.
Wenn man sich ansieht, was Kritiker zurzeit so schreiben, über Musik, Filme, Bücher, Kunst – dann ist da viel Müdigkeit zu erkennen. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen diagnostizierte vor Kurzem sogar, es sei Zeit für »Ende und Umbau der Popmusik«. Und wenn dann doch etwas bejubelt wird, im Bereich der Musik zuletzt etwa die Band The XX, dann lautet das Argument oft, hier werde dies und jenes auf geniale Weise neu zusammengesetzt. Im Falle von The XX: Musikversatzstücke der Achtzigerjahre. Das muss nicht schlecht sein, ein gutes Zitat kann wie neu wirken. So funktionierte Pop-Art, so funktioniert Lady Gaga, eine Art jüngere Madonna. Die Frage ist nur, wie viele Zitate und Zitatzitate der Pop verträgt. Je älter die Popkultur wird, umso mehr verweist jeder Ton, jedes Bild, jeder Buchstabe auf unzählige vorangegangene Aussagen. Und wo alles alles bedeuten kann, geht jede spezifische Bedeutung verloren.
Um Jean Baudrillards berühmte Feststellung, dass das Reale durch das Zeichen des Realen ersetzt wird, auf Pop zu übertragen: Statt etwas Neuem kommt das Zitat dessen, was vorher mal neu war. Nur das offensichtlichste aller Beispiele: Die erfolgreichsten Filme sind nicht selten Teil 2 oder 3 früherer Blockbuster.
Und in der Musik? Das letzte neue Ding war Techno – und das ist 15 Jahre her. Aber es wäre albern, daran jetzt kulturpessimistisch rumzunörgeln. Denn für die jeweils jüngste Generation von Konsumenten funktioniert Pop prächtig, als Kunst des Moments, nicht der Ewigkeit. Für jede neue Generation ist das, was sie vorfindet, wieder völlig neu, also aufregend.
Und was ist mit den Alten, die brummen, das erinnere doch nur wieder an lauter Altbekanntes? Völlig egal, sie sind ja nicht gemeint. Wer nach Jahren die Endlosschleifen der Populärkultur verdammt, verrät damit mehr über sich selbst als über Pop: Er wird eben alt. Und die Jungen legen los. Das ist der Generationenvertrag des Pop.
(Max Fellmann, Redakteur des SZ-Magazins, hofft zurzeit auf ein Neunzigerjahre-Revival.)