In den kommenden Tagen werden Sie eine Menge Ostereier in die Hand bekommen. Bunt bemalt. Eigentlich aber: blutbefleckt. Denn für jedes Ei sind Küken gestorben. Lange bevor das Ei gelegt wurde, wurden sie in einer Brüterei vergast oder zerhäckselt. Männliche Küken, die Brüder der Legehennen, nicht älter als ein, zwei Stunden, die größten Verlierer im weltweiten Geschäft mit den Eiern. Zwischen 40 und 50 Millionen männliche Küken werden jedes Jahr in Deutschland getötet. Im Gegensatz zu anderen Tieren muss das männliche Küken aber nicht sterben, damit wir etwas zu essen haben. Es muss sterben, weil sich sein Leben nicht lohnt. Es ist nicht profitabel.
Das männliche Küken wurde in den Sechzigern zum Problemkind. Damals wuchs in Deutschland der Hunger auf zarte Hühnerbrust und billige Eier. Aber die Hühnerrassen, bei denen die Hennen Eier legten und die Hähne das Fleisch lieferten, konnten die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Neue Hühner mussten her. Ein Teil der Branche spezialisierte sich auf die Mast: Nach und nach wurden Hühner entworfen, die heute vor lauter Brustmuskeln kaum noch laufen können. Diese Hähne und Hennen rotieren später als Hendl oder Broiler im Imbiss. Der andere Teil der Hühnerbarone züchtete Power-Legehennen. Die besten legen heute bis zu 320 Eier im Jahr, etwa 120 mehr als ihre Vorgängerinnen aus den Sechzigern. Die Huhn-Genetiker haben nur eines nicht geschafft – den Brüdern der Hennen das Eierlegen beizubringen. Und im Vergleich zu einem Masthuhn setzen diese Hähne kaum Fleisch an. Keine Eier, kein Fleisch; mit der Wende in der Hühnerzucht war da plötzlich ein Tier, für das es keine Verwendung mehr gab und bis heute nicht gibt. Das männliche Küken ist ein Fehler in einem System. Und die Hühnerzucht löscht diesen Fehler gnadenlos aus.
Das Leben der Lege-Hähne beginnt und endet in den Brütereien. Dort liegen die Eier zu Tausenden nebeneinander in großen Schränken. Maschinen übernehmen die Brut, regulieren Temperatur und Luftfeuchtigkeit, wenden die Eier.
Höchstwahrscheinlich Lohmann-Eier. Die Firma aus Cuxhaven hat in Deutschland einen Marktanteil von 80 Prozent, sie hat sich auf die Entwicklung von sogenannten Elterntieren spezialisiert. Diese werden als Küken per Luftfracht in die Welt verschickt, aufgezogen, gepaart, sie legen die Eier, aus denen die leistungsstärksten Legehennen der Welt schlüpfen, und deren verdammte Brüder. »So läuft die Legehennenzucht, egal ob in Timbuktu oder Iowa«, sagt Rudolf Preisinger, Leiter der Genetik bei Lohmann.
Ein lukratives Geschäft, denn die Legehennen sind für die Weiterzucht nicht geeignet. Und so müssen Legehennenhalter immer wieder Elterntiere von Lohmann nachkaufen. Die zeugen dann Lohmann-Hennen und die legen Lohmann-Eier.
Am 21. Tag schlüpfen die Küken. In Empfang nehmen sie Mitarbeiter der Brüterei – die Kükensexer. Sie tragen Mundschutz, sehen aus, als würden sie mit radioaktivem Material hantieren, sie sortieren die Tiere nach Männchen oder Weibchen, nach lebenswert oder nicht. Früher war das eine komplizierte Arbeit, lange konnte man nur in koreanischen oder japanischen Spezialschulen lernen, die winzigen Geschlechtsteile zweifelsfrei zuzuordnen. Bei den neuen Züchtungen kann man Männchen und Weibchen an der Gefiederfarbe erkennen. »Nach einer kurzen Einweisung kann das jeder«, sagt Preisinger. Jeder kann also Küken töten, das gilt als Fortschritt.
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Die Weibchen fahren über ein Fließband in ihre Zukunft als Legehennen. Die Männchen stürzen in eine Kiste, Gas strömt ein, sie ersticken. Oder sie werden zermust, in einem Häcksler, dem Homogenisator. Homogenisieren heißt: eine gleichmäßige Struktur schaffen. Die gleichgeformten Küken, der Kükenbrei also, wird zu Tiermehl verarbeitet oder weggeworfen, die vergasten Küken werden an Raubvögel oder Wildkatzen verfüttert.
»Das Töten der Küken ist natürlich ein schwarzer Fleck im Produktionssystem«, gibt Rudolf Preisinger zu. Lohmann versucht seit Längerem, Alternativen zu finden. Eine Idee ist, die Hähne ein paar Wochen zu mästen und dann als Stubenküken zu verkaufen. »Mit Semmelknödel und Salbei sind sie ein Gedicht«, preist Lohmann. Aber würden wir Deutschen zu den jährlich rund 400 Millionen verzehrten Hähnchen noch mal über 40 Millionen Stubenküken essen? Eher nicht.
Nächster Einfall: Pränataldiagnostik. Mit Lichtwellen soll schon im Ei untersucht werden, ob die DNA der Zellen männlich oder weiblich ist. Die männlichen Embryos würden dann nicht ausgebrütet. Das Verfahren steckt seit Jahren in der Grundlagenforschung fest.
Auch der »Ich kauf nur Bio«-Reflex hilft nichts, denn der Großteil der Bio-Legehennen kommt: von Lohmann. Die Hennen werden zwar im Freien gehalten, anders gefüttert, haben mehr Platz, aber auch ihre Brüder verschwinden als Küken im Homogenisator. Noch. Denn die Biobranche versucht eine Rückkehr zu den Wurzeln der Hühnerzucht; zu einem Huhn, bei dem die Männchen genügend Fleisch geben und die Weibchen genügend Eier legen. Das sogenannte Zweinutzungshuhn.
Das Problem: »Je mehr Eier eine Henne legt, desto weniger Fleisch setzt der Hahn an«, sagt Esther Zeltner vom Forschungsinstitut für ökologischen Landbau in der Schweiz. Klaus Damme von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft fügt an: »Bei einem Zweinutzungshuhn müssten Sie für weniger Fleisch das Doppelte oder Dreifache bezahlen. Dafür gibt es in Deutschland kaum Abnehmer.« Lohmann hält Zweinutzung schlicht für eine »Nischenlösung«.
Und doch wäre es die einzige Rettung für das männliche Küken. Abgesehen von kollektivem Veganismus. Denn solange wir nicht bereit sind, für Hühnerfleisch mehr Geld auszugeben, und die billigen Eier der herkömmlichen Legehennen kaufen, essen oder zu Ostern lustig färben und in Nester legen, so lange sterben deren Brüder.
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