In einer Folge von Sex and the City überlegt Samantha, sich die Brüste machen zu lassen und geht in eine Bar auf »Boob Job«-Recherche. Sie guckt bei anderen Frauen beziehungsweise deren Brüsten, welche Größe ihr gefallen würde, und findet die perfekten Exemplare im Ausschnitt der Kellnerin, die ihr ganz selbstverständlich Auskunft gibt: »Du willst zu Dr. Bevel. Er ist der Beste!«
Kurz mal nachgeschaut: Die Folge wurde vor mehr als zwanzig Jahren ausgestrahlt, im Januar 2004. Zumindest was Brustvergrößerungen angeht, dachten wir, wir wüssten längst Bescheid. Letzte Woche stellte sich heraus: Wir hatten ja keine Ahnung.
Die britische TikTokerin Rachel Leary bat Kylie Jenner in einem (mittlerweile 7,5 Millionen Mal geklickten) Video um Infos zu ihrer Brust-OP, weil sie »so perfekt«, »so natürlich« aussähen. Der Fangirl-Zuruf war eher rhetorisch gemeint, doch Jenner antwortete tatsächlich – und zwar detailliert: »445 cc, moderate profile, half under the muscle!!!! silicone!!! garth fisher!!! hope this helps lol«, schrieb sie in den Kommentaren. Als hätte sie mal eben ihr Rezept für Bananenbrot oder Hühnersuppe geteilt.
Bislang lautete die Beautyregel bei Prominenten: Alle machen es, aber keiner redet darüber. Stattdessen wurde immer noch das Märchen vom Wasser trinken, gut abschminken und irgendeinem gerade angesagten Facial erzählt. Sollten die Leute doch rätseln, ob er (Tom Cruise?) oder sie (Uma Thurman?) etwas hatte machen lassen, ein echter Star schweigt und genießt. Nun ist Kylie Jenner letztlich immer noch ein Reality-TV-Star und da gelten bekanntlich andere Regeln. Alles – oder sagen wir, das, was Quote bringt – wird bedingungslos nach außen gekehrt. Bereits 2023 gestand sie in einer Folge der Kardashians, mit 19 eine Brust-OP gehabt zu haben, die sie lieber erst nach den Kindern gemacht hätte. Der nächste logische Schritt: Wenn eh alle Bescheid wissen, kann man auch gleich klar texten.
Die neue Offenheit liegt offensichtlich in der Familie. Nachdem das halbe Internet über Kris Jenners erstaunlich jugendliches Aussehen spekulierte und die ersten T-Shirt trugen mit der Aufschrift »Ich nehme, was Kris Jenner hatte«, gab eine Sprecherin ein offizielles Statement ab: »Wir können bestätigen, dass Dr. Steven Levine die jüngsten Arbeiten an Kris Jenner ausgeführt hat.« Klingt ganz so wie Bauherren normalerweise ihre Architekten abfeiern.

Für den Kommentar von Kylie Jenner bedankte sich Rachel Leary natürlich mit einem weiteren TikTok-Video.
Screenshot: TikTok
Ist das nicht irgendwie sogar erfrischend? Zumindest konsequent? Ständig werden maximale Transparenz, Lieferkettengesetze, lückenlose Angaben von Inhaltsstoffen gefordert – da habt ihr sie! Nicht mehr so tun, als ob nicht. Nicht nur darüber reden, wenn es schief geht, wie bei Linda Evangelista, oder wenn bei Nicole Kidman in Cannes aus Versehen die Perücke verrutscht. Im Jahr 2025 ist doch wirklich nichts mehr dabei.
Und genau das ist das Problem: Schönheitsoperationen werden ohnehin immer gefragter, die Hemmschwelle sinkt weiter, die Möglichkeiten für »optimale« Ergebnisse steigen ständig. Wenn nun auch noch die Vorbilder dieses Schönheitsideals wie Kylie Jenner ihre Zutaten und Adressen teilen, als wäre es das Normalste der Welt – lol – erscheint das gewünschte Aussehen zum Greifen nah. Ganz einfach zum Nachkaufen und Nachmachen! Einmal das Kylie-Menü bitte! In der Praxis von Dr. Garth Fisher in Beverly Hills lief in den folgenden Tagen bereits das Telefon heiß. Zur freundlichen Unterstützung hatte er Jenners Post gleich noch auf dem eigenen Instagram Account gepostet.
Wohin das führt, lässt sich ganz gut bei den sogenannten »Credits« von Fotoshootings in Modezeitschriften und unter Instagram-Posts von Prominenten beobachten. Früher wurde dort lediglich die Marke der Kleidung genannt. Dann die des Schmucks. Seit ein paar Jahren auch die der verwendeten Make-up- und Haarprodukte plus die Namen sämtlicher Beteiligten. Demnächst könnten dort noch mehr käufliche Label stehen: »Face Glow« mit freundlicher Unterstützung von Doc Soundso, Boob Job by XY, Abnehmspritze von Marke Z. Einige Podcaster und Influencer nennen bereits den Hersteller ihrer Schlankmacher oder den Namen des Botox-Arztes ihres Vertrauens. Ob Werbedeals oder einfach nur freundliche Weiterempfehlung dahintersteckt, bleibt unklar. In jedem Fall steigert es noch einmal die Sichtbarkeit, sicherlich auch die Begehrlichkeit solcher Präparate.
Das New York Magazine spekulierte bereits, ob die Jenners und Kardashians womöglich bald ins Schönheitschirurgie-Geschäft einsteigen oder warum sie so freimütig ihre Bezugsquelle lüften, die man doch normalerweise so hütet wie die Adressen von Putzleuten, Babysittern und Drogendealern. Womöglich folgten sie einfach der alten Auflagenstrategie des Magazins Focus: »Fakten, Fakten, Fakten – und immer an die Leser denken.« Die dankten es Kylie Jenner zumindest. Rachal Leary und ihre Follower feierten sie als das ultimative »girl’s girl«, eine echt gute, total hilfsbereite Freundin.
Typischer Instagram-Kommentar: »Thanks for sharing!«
Das sagt Dr. Fishers Sprechstundenhilfe: »Der nächste freie Termin ist im August 2026«
Passender Film: »Doc Hollywood« mit Michael J. Fox