Lichtgestalt mit Heiligenschein

Der Stil der neuen Pop-Ikone Rosalía ist so wie ihre Musik: vielschichtig und ziemlich interessant. Mal sakral, mal lässig, irgendwo zwischen Laufsteg und Streetwear. Jetzt hat sie verraten, was sie anzieht, wenn die Leute jedes ihrer Worte verstehen sollen.

Rosalía mit eingefärbtem Heiligenschein in der Tonight Show von Jimmy Fallon.

Foto: NBC

Ganze dreizehn! In so vielen Sprachen singt Rosalía auf ihrem Album »Lux«, das vergangene Woche erschien. Seitdem sitzen Fans überall auf der Welt mit Übersetzungsprogrammen an der Box, um auch »Licht« in die Bedeutung ihrer Texte zu bringen. Da ist aber noch eine Sprache, die die katalanische Sängerin zuletzt ziemlich gut beherrscht: die Kommunikation mit Garderobe.

Auf dem Albumcover ist sie mit einer Nonnenhaube und einem ärmellosen weißen Top zu sehen. Die Hände sind gewissermaßen unter dem Stoff gefangen, als stecke sie in einem Kokon. Katharsis? Metamorphose? Passend zu den religiösen Themen auf dem Album wählte sie zuletzt entweder ätherisches Weiß oder Gothic-Schwarz. Im Video zu »Berghain« hat sie Schuhe mit Rosenkranz-Riemchen an, bei einem Auftritt trug sie ein Kleid von Vivienne Westwood by Andreas Kronthaler über und über mit Ketten und Schlüsseln behangen. Vor allem sitzt da plötzlich ein blondgefärbter Kranz auf ihrem Haar, der sehr an einen Heiligenschein erinnert. Das ist mehr als ein Revival des wilden »Foxtail«-Trends aus den Nullerjahren, als furchtlos mit extragroßem Pinselstrich gesträhnt wurde, das wird uns noch lauter eingefärbte Haarreifen, Herzen oder sonstige Motive bescheren.

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Nun ist »Mottodressing« nichts Neues im Pop. Madonna änderte ihre Garderobe mit jedem neuen Album, von Cowgirl bis zur spirituellen »Ray of Light«-Phase Ende der Neunziger. Taylor Swift trug zu »Life of a Showgirl« erwartungsgemäß entsprechende Kostüme.

Was bei Rosalía darüber hinaus so angenehm erscheint: Sie ist bei weitem keine Heilige, aber trotzdem nicht so haudrauf-aufgesext wie Sabrina Carpenter, Dua Lipa oder Addison Rae. Geht natürlich alles, schon klar, wird ja bisweilen auch ironisch gebrochen. In der Fülle ist dieses Anhaben von möglichst-wenig-und-das-möglichst-glitzernd-oder-in-Leder allerdings allmählich ermüdend. Wie ein Algorithmus, der immer wieder das gleiche auftischt. Nicht nur musikalisch wirkt Rosalía dagegen deutlich vielschichtiger, ihre Garderobe ist es auch. Die Katalanin zeigt genauso Haut, dann aber mit viel Volumen und Insektenbrille von Balenciaga. Sie trägt – wie alle gerade – Korsagenkleider von Dilara Findikoglu – quetscht Dekolleté und Taille dabei aber nicht ansatzweise so zusammen wie Kim Kardashian.  

Wie bei ihrer Musik betreibt die 33-Jährige außerdem stets einen Crossover zwischen den Genres: High Fashion (sie ist das Gesicht von Dior) gemischt mit jungen Labels, Streetwear und spanischen Elementen. Quasi Klassik plus Reggaeton, DnB und Flamenco. Das Interview mit Apple Music bestritt sie im Hoodie von Abra und langem Rock, bei den Dreharbeiten zum Berghain-Clip in Warschau trug sie ein hellblaues Tanktop mit der Aufschrift »God Complex«, dann wieder liegt sie auf dem Bett in schmalen schwarzen Hosen und seidenem Bolero wie eine Torera. So ganz engelhaft gestriegelt wirkt es bei ihr nie, was auch an diesen meist offenen langen Haaren liegt.  

Warum sie es mal sehr expressiv und mal sehr schlicht mag, erklärte die Sängerin übrigens gerade im Podcast »Fashion Neurosis« von Bella Freud. »An manchen Tagen möchte ich, dass meine Kleidung für mich spricht. (…) Kleidung hat sogar die Fähigkeit, zu bestimmen, wie dein Tag verlaufen wird«, sagt sie darin. Aber wenn die Worte wichtiger sein sollen, kleide sie sich entsprechend zurückhaltender, das helfe ihr dann auch beim Denken. Wer die Texte auf Lux mittlerweile entschlüsselt hat – viele davon sind so poetisch, eigentlich kann sie die nur in einem weißen T-Shirt geschrieben haben.


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