Bunt fürs Leben

Auffallend viele ältere Frauen färben sich die Haare knallig, stellte die spanische Fotografin Ángela Suárez fest und begann die Styles zu fotografieren. Nun ist ihr Bildband erschienen. Er erzählt von Frauen, denen es wirklich egal ist, was andere von ihnen denken.

Alles außer grau: Ab einem gewissen Alter haben manche Frauen ihren eigenen Kopf

Fotos: Ángela Suarez, Birds of Paradise (Apartamento Publishing), Collage: SZ-Magazin

Manchmal stehen sie vor einem an der Supermarktkasse. Oder sie steigen in denselben Bus, sitzen draußen auf einer Parkbank. Egal wo sind sie jedenfalls nicht zu übersehen: Damen fortgeschrittenen Alters mit – wie es im Friseursprech heißt – »Colorationen« in den wildesten Farben. Mit Strähnchen so dick, als sei der Friseur mit einem breiten Borstenpinsel ans Werk gegangen. 

»Birds of Paradise«, Paradiesvögel, hat die spanische Fotografin Ángela Suárez sie getauft und gerade ein Buch (Apartamento Publishing) mit einer ganzen Reihe solcher Paradiesvögel veröffentlicht. Gerade während der Pandemie, wo alle Leute Masken trugen, seien ihr die schillernden Haare plötzlich noch mehr aufgefallen, sagt sie. Der Bildband enthält aber nicht nur ihre Streetstyle-Aufnahmen. Nachdem Suárez auf Instagram immer mal wieder Bilder gepostet hatte, schickten Follower ihr Schnappschüsse von Frauen mit ähnlich vogelwilden Tönungen, die ihnen auf der Straße begegnet waren. Da ist etwa die Frau mit Lockenkopf in Schattierungen von Lila-Pink-Türkis, die an Einhornmähnen erinnern. Eine hat lange graue Haare, die zur Hälfte in Kobaltblau gedippt wurden, bei anderen sind nur die Spitzen Knallorange gefärbt. Manche tragen dicke Streifen wie Stinktiere auf dem Kopf, aber in leuchtendem Pink. Und dieses silbrige Lila, das bei einer Überdosis Silbershampoo entsteht, ist natürlich auch dabei.

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Die Sammlung ist so schrill wie rührend. Eine Liebeserklärung an Frauen, die im Alter nicht im Grau-in-Grau verschwinden, sondern offensichtlich ihren ganz eigenen Kopf behalten. Suárez sagt, sie habe viele Damen gar nicht angesprochen, aber wenn sie doch ins Gespräch kamen, sagten die meisten, sie trügen die Haare einfach aus Spaß so bunt. »Brushstrokes of colour and joy«, schreibt Suárez in ihrem Begleittext, Pinselstriche aus Farbe und Freude.

In der Huffington Post erzählten einige solcher Wildgefärbten einmal, dass sie damit ein klares Signal sendeten: Auch im hohen Alter könne man noch Spaß haben. Ihr Leben lang hätten sie sich anpassen und bloß nicht auffallen sollen, jetzt endlich sei es ihnen vollkommen egal, was andere denken. Freidrehen, dick auftragen, es total bunt treiben. Ein bisschen so, als sei man ewig auf Diät gewesen, und gönne sich dann an der Eistheke alle Toppings auf einmal. Wahrscheinlich sind sie in dem beneidenswerten Stadium angekommen, das man die Piña-Colada-Jahre nennt. Wenn man Lust auf einen klebrig-süßen Klischee-Cocktail hat, bestellt man ihn jetzt einfach. Wenn das Greis-Grau einen nervt, aber »natürliches« Braun oder Blond irgendwie auch zu prätentiös sind, dann eben gleich volle Kanne: Feuermelderrot, Schlumpfblau, Tuttifrutti. Paradiesvögel sind schamlos im positiven Sinne.

Eine der älteren Damen, die sich ihre Haare seit Jahren selbst bunt färbt, erzählte in jenem Artikel, dass sie häufig gefragt würde, ob sie eine Wette verloren hätte, oder die gefärbten Haaren irgendeine Art Charity-Aktion seien. Oft bekomme sie aber auch Komplimente. Ihr liebstes: »Wenn ich mal alt bin, möchte ich auch so cool sein.«
 
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