Eines der Dinge, die ich an Amerika liebe, ist, dass das Land so viele Outdoor-Abenteuer bietet. Skifahren und Surfen, das geht in Kalifornien sogar an einem Tag. Selbst wenn man von der Küste in Los Angeles aus startet, schafft man es lässig, in eineinhalb Stunden an einem passablen Hausberg zu landen, Mount Baldy. Da ist man im Frühling unter der Woche fast allein unterwegs und kann dann locker unter Föhrenwipfeln den Hang herunterwedeln, während am Horizont Los Angeles im Smog versinkt.
Das Dumme daran ist, dass man sich dabei das Kreuzband reißen kann. Zumindest wenn, wie in meinem Fall, die Bindung nicht aufgeht, die der nette Mitarbeiter in der Bergstation zu streng eingestellt hat.
Gut, dass ich vor meinem Abstecher nach Amerika zwei Jahre lang in Indien studierte. Dort habe ich gelernt, dass ein Preisschild nur eine ungefähre Richtungsangabe ist, man auf die Nennung von Rupien am besten sofort mit einem Beinahe-Ohnmachtsanfall reagiert und dem Aufschrei »Um Himmels Willen! Viel zu teuer!« - nur um dann, wenn man sich von dem ruckartigen Kreislaufabfall einigermassen erholt hat, mit Schnappatmung etwa ein Zehntel des genannten Preises als Gegenangebot zu nennen.
Aber nie hätte ich gedacht, dass sich dieser zweijährige Fortgeschrittenen-Kurs im Feilschen wunderbar in Amerika bewähren würde, und zwar, jetzt kommt's, im Krankenhaus. Im Krankenhaus!
Amerika hat ganz wunderbare Ärzte, ich würde sogar sagen, mit die besten der Welt. Innerhalb kürzester Zeit wurden mir nach meinem Sturz von Freunden mehrere exzellente Orthopäden und Chirurgen empfohlen. Nach drei Monaten vergeblicher Physiotherapie entschied ich mich für den hübschesten: Der graumelierte Herr Doktor könnte jederzeit auch als Fernseh-Arzt Karriere machen. Er wurde mir so glühend von mehreren Freundinnen ans Herz gelegt, dass ich den Verdacht hege, die ruinierten sich ihre Menisken regelmäßig, nur um bei ihm eine Audienz beantragen zu dürfen.
Wegen seines Charmes habe ich ihn mir aber nicht ausgesucht, sondern weil er zu den besten Knie-Chirurgen zählt. Er hat schon Hollywood-Star Charlize Theron, Football-Quarterback Tom Brady und Basketball-Legende Kobe Bryant operiert, weshalb ich erwarte, dass ich nach der OP wieder mehr Bälle ins Körbchen kriege als vorher. Was aber wird mich das Ganze kosten?
Viele Auslandskrankenversicherungen schließen Amerika als Reiseland aus, weil in den Staaten selbst Routine-Untersuchungen doppelt und dreifach soviel kosten wie in Europa. »Gesundheit!« ist eines der wenigen deutschen Worte, die fast alle Amerikaner beherrschen. Sie rufen es zwar freudig, wenn man niest, die Ärzte sehen aber nicht ein, dass ihre Arztkosten eben gerade dieser Gesundheit abträglich sind.
Als ich einmal ein Magen-Medikament vergessen hatte und mir bei einer Allgemeinärztin ein Rezept ausstellen lassen wollte, traf mich an der Kasse fast der Schlag: 350 Dollar! Für ein Standard-Rezept (Medikament im Preis nicht inbegriffen)! Wir hatten uns nur kurz unterhalten, ich hatte ihr erklärt, dass ich dieses Medikament schon seit Jahren nehme und nur nicht genügend aus Deutschland mitgenommen hatte. Diese 15 Minuten kosteten mich so viel wie ein Flugticket nach Hawaii. Ich fragte, wie sie denn diesen Preis rechtfertige, und die Ärztin sagte, das sei ihr Standard-Honorar, senkte aber angesichts meines steigenden Bluthochdrucks die Rechnung auf 220 Dollar. Fand ich nett, aber immer noch zuviel. Anschließend hätte ich eigentlich auch noch ein Beruhigungsmittel gebraucht, aber das konnte ich mir nicht mehr leisten.
Die Los Angeles Times berichtete kürzlich von einer Frau, die am Sterbebett ihres Vaters im Good Samaritan Hospital von LA von seinem Ableben so schockiert war, dass sie umkippte. Sie bekam von der Krankenschwester eine Beruhigungstablette, die in einer Apotheke 14 Cent kostet. Weil ihr aber von den guten Samaritern auch der Blutdruck gemessen wurde und sie sich 90 Minuten lang auf einem Bett ausruhte, bis sie wieder zu Kräften kam, belief sich die Rechnung auf 2000 Dollar. Worauf sie noch einmal umkippte und sich aus der Apotheke für 14 Cent die Beruhigungspillen liefern ließ.
Horrend wird es, wenn man Notärzte braucht. Meine Schwägerin Vicki wurde letztens aus heiterem Himmel zuhause vor dem Fernseher von so heftigen Schmerzen geschüttelt, dass mein Schwager Angst bekam und einen Krankenwagen rief. Der brachte sie ins nächste Krankenhaus, das nur acht Minuten entfernt liegt. Dort wartete sie sechs Stunden, bis die Ultraschall-Maschine frei wurde und der Arzt auf einen Nierenstein tippte. Dann fuhr mein Schwager sie mit einer Überweisung zu ihrem Allgemeinarzt wieder nach Hause.
Die Rechnung für die achtminütige Fahrt kam eine Woche später: 2.300 Dollar! Wohlgemerkt: Da war der Ultraschall nicht mitgerechnet. QDu bist doch krankenversichert!«, rief ich naiv. »Das schon«, sagte Vicki, »aber für Fahrten zum Krankenhaus habe ich 5.000 Dollar Eigenbeteiligung, das muss ich selber zahlen.«
Damit reiht sie sich nahtlos ein in die Phalanx der Amerikaner, denen die Arztrechnungen mehr Schmerzen verursachen als ihre Wehwehchen. Die meisten Krankenhäuser und Ärzte schicken ihre Rechnungen nämlich nicht auf einmal, sondern scheibchenweise: Der Arzt, sein Assistent, der Anästhesist, der Röntgengehilfe, die Krankenschwester und das Krankenhaus (Raummiete!) rechnen alle extra ab, so dass sich die Gesamtsumme auch bei Routine-Prozeduren wie etwa einer Kolonoskopie leicht auf den Gegenwert eines Porsches hochrechnen lässt.
Aber, jetzt kommt das Beste: Wie die Ärzte auch müssen Sie die Kunst des Zockens lernen. Das geht so: Wie auf dem Basar von Bombay imitieren Sie einen Ohnmachtsanfall, wenn Ihnen ein Arzt eine Rechnung präsentiert, rufen »Um Himmels Willen!« und sinken in die Knie. Bevor die Krankenschwester Ihnen eine 2000 Dollar teure Beruhigungspille zwischen die Zähne schieben kann, zücken Sie Ihre Kreditkarte und rufen: »Ich zahle bar!« Ich war angenehm überrascht, dass ich mit dieser Methode schon von den Röntgenkosten 200 Dollar abschleifen konnte. Hauptargument: Der Anbieter um die Ecke kostet nur die Hälfte. (Das stimmte auch.) Und sie wollen doch ihre teuren hypermodernen Geräte auslasten!
Die Wissenschaftler der Universität von San Francisco fanden heraus, dass die Krankenhäuser verlangen, was sie wollen. Eine Knöchelverstauchung kann so viel kosten wie eine Tasse Kaffee (4 Dollar) oder ein Familienurlaub in Neuseeland (24.110 Dollar), Nierensteine 128 bis 39.000 Dollar, eine Blasenentzündung zwischen 50 und 73.000 Dollar. Im Land der Vereinigten Kapitalisten ist alles eine Frage von Angebot und Nachfrage.
Richtig zum Einsatz kommt diese Theorie aber erst beim Einchecken im Krankenhaus für die Kreuzband-OP. »Zahlen Sie bar?« fragt die freundliche Dame an der Rezeption sofort, noch bevor Sie mich nach meinen Beschwerden fragt, als sei ich nicht für einen körperlichen Eingriff hier, sondern für einen Gebrauchtwagen. Aber klar doch. Damit bekomme ich 40 Prozent Cash-Rabatt. Ab Werk.
Und dafür ist mein Knie nun so hübsch wie das von Charlize Theron.
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