In der Arbeit der US-Anwältin Shannon Liss-Riordan sind schon die Worte schwer zu fassen: Sind die Menschen, für die sie vor Gericht ringt, Dienstboten? Unternehmer? Entrechtete? Oder irgendetwas dazwischen? Liss-Riordan vertritt die Seite der Schwachen in der modernen Arbeitswelt: den Lieferanten eines Bring-Dienstes für Essen, den Fahrer eines Uber-Taxis, nach Bedarf gebuchtes Putzpersonal. Als Kunde ist leicht zu übersehen, dass diese Dienstboten zumeist seltsame Zwitter der Arbeitswelt sind: Sie sind Chef und Untergebener in einer Person, ihr eigenes Ein-Personen-Start-up. Denn Unternehmen wie Uber sehen sich nicht als Arbeitgeber, sondern lediglich als Anbieter einer App, die Dienstleister und Kunden im richtigen Moment zusammenbringt – zu einem »Gig«, einem Kurzeinsatz, der dieser Art von Arbeitsverhältnis seinen Namen gab: die »Gig-Economy«. Diese Unternehmen betonen gern, wie unabhängig ihre Mitarbeiter seien, wie frei – ohne Zwänge, ohne Chefs. »Aber das ist eine Lüge«, sagt Liss-Riordan. »Diese Firmen behandeln ihre Arbeiter wie Angestellte, nennen sie aber nicht so, um Lohnkosten zu sparen.«
Liss-Riordan, fünfzig Jahre alt, kämpft seit rund sieben Jahren für Paketboten, Essens-Lieferanten, Uber-Fahrer. So hartnäckig verbeißt sie sich in ihre Fälle, dass sie den Spitznamen »Pitbull« bekam.
Eine Versicherung? Mindestlohn? Betriebsräte? Für die Gig-Economy sind das Konzepte von gestern. In der modernen Arbeitswelt löst sich der Betrieb immer mehr auf – und damit bröckelt der Arbeitnehmerschutz. Dabei sind Dienstleister, die ihre Aufträge über eine App vermittelt bekommen, selten so frei wie unabhängige Unternehmer. Die Anbieter dieser Apps greifen in die Arbeit ein – sie kontrollieren Dienstleister über die App, belohnen gute, bestrafen vermeintlich schlechte, verteilen die Arbeit über Schichtpläne. Sie diktieren die Preise und können die Dienstleister jederzeit rauswerfen, wenn diese zu viele Aufträge ablehnen oder von Kunden schlecht bewertet werden. »Das sind alles Dinge, die ein Arbeitgeber tut«, sagt Liss-Riordan.
Die Anwälte ihrer Gegner nennen Liss-Riordan oft altmodisch, unmodern, rückwärtsgewandt. »Weil ich Jahrzehnte alte Gesetze und Richtlinien auf ihre ach so innovative Branche anwende«, sagt sie. Es ärgere sie, dass die Firmen so täten, als hätten sie etwas radikal Neues erfunden. Dabei kopierten sie im Grunde nur das Verhalten der Branchen, die sie seit Jahren erfolgreich verklagt: Die Kaffeekette Starbucks musste nach ihrer Klage 23,5 Millionen Dollar zahlen, weil Manager unrechtmäßig einen Teil der Trinkgelder einbehalten hatten. Der Paketversand FedEx wurde wegen Scheinselbstständigkeit seiner Fahrer zu 228 Millionen Dollar verdonnert. Selbst gegen die Universität Harvard, die Liss-Riordan selbst besuchte, hat Liss-Riordan geklagt, weil die Uni Mitarbeiter des hauseigenen Wellnesscenters illegal als Selbstständige beschäftigte. Am Ende stellte die Elite-Hochschule die Mitarbeiter fest an. »Die Masche ist immer dieselbe gewesen«, sagt Liss-Riordan. »Nur ohne Apps.«
Auch Gig-Economy-Firmen lenken unter Liss-Riordans Druck ein, bezahlen Überstunden oder versichern ihre Arbeiter. Ein Lieferservice hat kürzlich angekündigt, seine Fahrer fest anzustellen. Und in Kalifornien müssen Unternehmen bald offiziell belegen, dass ihre Mitarbeiter echte Selbstständige sind. So verlangte es ein Gericht. Liss-Riordan hat den dreistufigen Test mitentwickelt, den die Arbeitgeber bestehen müssen.
Doch viele Prozesse ziehen sich über Jahre hin. Etwa der Fall gegen Uber, in dem Liss-Riordan 240 000 Kläger per Sammelklage vertrat. Richter hatten die Klage 2015 zugelassen, aber 2018 wieder kassiert. Denn der Supreme Court der USA entschied in einem Grundsatzurteil, dass bestimmte Schiedsklauseln in Arbeitsverträgen solche Sammelklagen verhindern. »Die haben sich auf die Schiedsklauseln berufen, weil sie dachten, sie hätten uns dann vom Hals«, sagt Liss-Riordan. »Aber wir nehmen sie beim Wort – und reichen jetzt jede Klage einzeln ein.«
Auch sie nutzt Fahr-Apps und Lieferdienste. »Ich arbeite Vollzeit und habe drei Kinder, natürlich drücke ich diese Knöpfe manchmal«, sagt sie. »Ich will diese Firmen ja nicht verbieten, ich will sie nur zwingen, ihren Job besser zu machen.«