»Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen«, sagte einst die amerikanische Literatur-Nobelpreisträgerin Pearl S. Buck. Ob diesem neuen Streetwear-Trend so viel Philosophie zugrunde liegt, sei mal dahingestellt. Fakt ist: Neuestes Objekt der Begierde in Londoner Szenekreisen ist – zumindest temporär – die Arbeitsjacke der Essensausfahrer des Lieferdienstes Deliveroo.
Verschiedene britische Medien berichten darüber, wie Exemplare der türkisen Regenjacke mit Känguru-Logo zunehmend auf Wiederverkaufs-Plattformen wie Ebay, Depop oder Wavey Garms (dem Gradmesser Londoner Hipster-Bekleidung) auftauchen. Ja, das Modell ist mit reflektierendem Gewebe und einer Pastellfarbe ausgestattet (beides Eigenschaften, die unter Streetwear-Insidern immer wieder zu Schnappatmung führen), doch wir unterstellen dem Hype um die Kurierjacke einen anderen Ursprung: die Begeisterung für Arbeitsuniformen.
Diese Faszination ist grundsätzlich nicht neu, beschränkte sich bislang allerdings eher auf Berufe mit einem bestimmten sozialen Status und einer gewissen Autorität. Wurde früher vor allem den Uniformen von Polizisten oder Piloten ein gewisser Glamourfaktor zugesagt, stehen seit der Erhebung des DHL-Shirts zum modischen It-Piece durch das Design-Kollektiv Vetements nun Paketboten oder der Pizzalieferdienst in der Gunst des Modevolks. Das mag man albern finden, gleichzeitig ist es herrlich demokratisch.
Und während das Flugmetier bisher auch das einzige war, das regelmäßig große Designer anlockte – Christian Lacroix für Air France, Giorgio Armani für All’Italia, Julien MacDonald für British Airways, Adolfo Domínguez für Iberia, Zac Posen für Delta sind nur einige Beispiele – verschreiben sich jetzt auch immer mehr Designer der »Glamourisierung« viel alltäglicherer Uniformen. So hat die Bahn Deutschlands liebsten Fernseh-Designer Guido Maria Kretschmer mit dem Design ihrer neuen Mitarbeiter-Uniformen beauftragt; die Berliner Designerin Maria Hoermanseder stellte soeben die von ihr entworfene neue Post-Uniform ihres Heimatlandes Österreich vor.
Ob diese Neu-Designs jetzt dazu führen werden, dass DB-Mitarbeiter oder die österreichischen Postboten plötzlich von Modeopfern überfallen werden, wagen wir zu bezweifeln. Der Grund, weswegen modisch Informierte sich für Produkte wie das DHL-Shirt begeistern (der britische Rapper Skepta etwa erschien zur letzten Weihnachtsausgabe der Musiksendung Top Of The Pops uniformiert wie Angestellter der Royal Mail – inklusive Schultertasche und Brieftrolley), ist ja die Ironie der vermeintlichen »Uncoolness«, der ausschließlichen Praktikabilität und des No-Designs, was dahintersteckt. Und das ist bei Hoermanseders logoverzierten Briefträgerkrawatten nun nicht mehr gegeben.
Dass der Trend zur Deliveroo-Jacke weiter an Fahrt gewinnt, wäre allerdings zu wünschen. Lieferservice-Startups wie Deliveroo oder Foodora standen zuletzt wegen Ausbeutungsvorwürfen und mangelnder sozialer Absicherung ihrer Mitarbeiter in der Kritik – so könnten diese sich wenigstens durch den Wiederverkauf ihrer Ausrüstung etwas Zubrot verdienen.
Wird getragen von: Pizzaboten, Londoner Szene-Kids
Wird getragen mit: Warmhaltebox
Wir warten gespannt auf: Wolfgang Joop für Aral
Foto: GettyImages / Dan Kitwood