Ob jemand Taylor Swift erzählt hat, dass jetzt nicht mehr nur »Swifties« Freundschaftsarmbänder tragen, sondern selbst ausgewachsene Wirtschaftsminister auf diese Weise ihre Kanzlerkandidatur verkünden? Eigentlich müsste man ihr nur das Video vorspielen, das Robert Habeck vergangene Woche auf Social Media veröffentlichte. Den Song, den er da summt, wird sie eher nicht kennen (Herbert Grönemeyer: »Zeit, dass sich was dreht«, quasi das »Cruel Summer« von Deutschlands Boomer-Generation). Aber drei Buchstaben in »Kanzler Era« dürften ihr bekannt vorkommen: eine Anspielung auf ihre »Eras«-Tour, bei der Millionen von Fans Freundschaftsarmbänder mit Swift-Referenzen tragen und tauschen.
Man kann es albern oder ranschmeißerisch finden, dass der Grünenpolitiker so offensichtlich die Insignien der jungen (weiblichen) Generation kopiert, um bei ihnen auf Stimmenfang zu gehen. Andererseits hat man ja gesehen, was passiert, wenn Politiker TikTok weitgehend der AfD überlassen und die 18- bis 24-Jährigen plötzlich stramm rechts wählen. Also zieht Habeck jetzt alle Register. Nur, dass er sein Bändchen wahrscheinlich nicht mit Leuten wie Friedrich Merz oder Christian Lindner tauschen will.
Der Wirtschaftsminister ist ohnehin nicht der erste, der in der Politik aufs Handgelenk setzt. Schon beim Parteitag der Demokraten zeigten sich die Unterstützer mit Wahlkampf-Bändchen wie »Harris & Walz«, »Kamala 2024« oder »we choose freedom«. Vor Ort wurden sogar Basteltische mit bunten Perlen und Buchstaben eingerichtet, an denen Anhänger sich eigene Bändchen zusammenstellen konnten. Gereicht hat es bekanntlich nicht, was viele Wählerinnen allerdings nicht davon abhält, die gleiche Strategie noch einmal anzuwenden. Nachdem erstaunliche 53 Prozent der weiblichen Bevölkerung für Donald Trump gestimmt haben, wollen – mehrheitlich weiße Nicht-Trump-Wählerinnen ein Zeichen setzen, dass sie nicht »zu denen« gehören. Eine Mutter aus Minnesota fragte in einem Video, ob Frauen jetzt ein Erkennungszeichen bräuchten, weil sie den »bitches« da draußen nicht mehr über den Weg traue: »Vielleicht ein blaues Band oder so?« Damit war die »Blue Bracelet«-Bewegung geboren. Wobei ein Handgelenk-Bekenntnis eben nicht viel wirksamer als ein Lippenbekenntnis ist. So lautet auch der Vorwurf an die Trägerinnen: Weiße Frauen wollen sich positionieren, sich besser fühlen, ohne dafür echte politische Arbeit auf sich zu nehmen.
Im Grunde geht das mit den Armbändchen ziemlich früh los im Leben. Gleich nach der Geburt bekommt im Krankenhaus jedes Baby eines mit Seriennummer und Namen, damit niemand vertauscht wird. Das Handgelenk scheint der ideale Ort, um Zugehörigkeit abzubilden: Gut sichtbar, man kann dort etwas leicht an- und ablegen. Deshalb kriegt man für jede größere Veranstaltung und erst recht für jeden »Vip«-Bereich heute farbige Schlingen, die sagen: »Ich gehöre dazu!«
Politisch wurden die Armbänder in den Achtzigerjahren, als Demonstranten gegen die Verdrängung von Maya-Ureinwohnern in Guatemala protestierten. Mit Leuten wie Wolfgang Petry kamen sie dann in den Nullerjahren etwas aus der Mode – bis Taylor Swift sie 2022 in ihrem Song »You’re on Your Own, Kid« erwähnte und sie sinnbildlich zurück an den Puls der Zeit brachte. Seitdem etablierte sich eine neue Gattung der Freundschaftsbänder bei ihren Fans: bunte Perlen und Buchstaben, am liebsten natürlich mit Swift-Referenzen. Inzwischen wird jegliche Gesinnung in Schmuckperlen umgesetzt. Wahrscheinlich üben sie auch bei SPD und CDU bereits fleißig aufreihen, um ihre Anhänger demnächst flächendeckend zu etikettieren.
Angeblich kann man sich, wenn man ein Bändchen von einem Freund bekommt, beim Anlegen sogar etwas wünschen, und wenn es dann reißt, geht der Wunsch idealerweise in Erfüllung. Ob Habecks »Kanzler Era«-Modell ein Geschenk war, das pünktlich zu den Neuwahlen abzufallen hat, ist bislang nicht bekannt.
Wird auch getragen von: Kamala Harris, Selena Gomez, Jennifer Garner
Das sagt der Swiftie: »In New Orleans hing ein über 40 Meter langes Freundschaftsarmband am Stadion!«
Passender Song: »You are on your own, kid« (Taylor Swift)