Bügel des Schreckens

Moment, Push-ups waren seit der Pandemie doch abgeschafft. Jetzt trägt Sabrina Carpenter Babydoll-Wäsche und Victoria's Secret tut so, als hätte es nie einen Skandal gegeben. Offenbar sollen Frauen immer noch sexy sein – nur eben für sich selbst. 

Bella Hadid, Tyra Banks und Carla Bruni liefen für Victoria's Secret. Aber ändert das etwas daran, dass die Marke wenig inklusiv, sexistisch und ein wenig albern ist?

Foto: Getty Images

Wenn sich Serienmacher in den Achtzigern mit dem Plot ein bisschen verrannt hatten und ihnen partout nichts einfiel, wie sie aus der Misere wieder rauskommen sollten, wandten sie einen genialen Trick an: Ätsch-bätsch, alles nur geträumt! Wir tun einfach so, als wäre nichts gewesen, spulen die Zeit zurück und machen weiter wie vor ein paar Kapiteln, sogar mit dem Personal, das eigentlich mal gestorben war. So wirklich geschehen 1986 mit Bobby Ewing in »Dallas«. Und so ähnlich war das Gefühl vergangene Nacht bei der Laufstegshow von Victoria’s Secret.

Alle liefen sie plötzlich wieder: Gigi Hadid, Adriana Lima, Candice Swanepoel, Irina Shayk. In Unterwäsche, auf dem Laufsteg, mit Flügeln. War was?

Doch, da war eigentlich was. Nach der letzten Show 2018 gab es einen Skandal, weil der Marketingchef sagte, er wolle keine trans Menschen auf dem Laufsteg – als Victoria’s Secret kurz darauf ein trans Model buchte, kündigte er sogar. Und der Firmenboss entpuppte sich als guter Freund von Jeffrey Epstein. Plötzlich galt die Dessous-Show als hoffnungslos gestrig. Zu wenig inklusiv, zu sexistisch, obendrein ein bisschen albern, weil die Kostüme bisweilen fantasievoll durchgeknallt aussahen.

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Welchen revolutionären Kniff ließen sich die aktuellen Macher also einfallen, um die Show feministischer, diverser und wieder relevant zu machen? Sie ließen die üblichen Plus-Size-Models wie Paloma Elsesser und Ashley Graham laufen, zwei trans Models, die jetzt also doch »den Traum« von Victoria’s Secret vermitteln können und fuhren noch Kate Moss und Carla Bruni auf und stutzten die Flügel sowie die Kostüme ein bisschen.

Tatsächlich spielen fast alle mit. Vogue postet Backstage-Bilder, Instyle kürt die viralsten Momente, People die tollsten »Debuts«, als gehe es hier um reine Ehre und nicht um das Abkassieren einer wahrscheinlich astronomisch hohen Gage. Als halbwacher Zuschauer wartet man die ganze Zeit darauf, dass man einem mittelmäßigen Sketch von Saturday Night Live aufgesessen ist, aber es kommt partout keine Auflösung.

Stattdessen fällt einem ein anderes, nicht unwichtiges Detail wieder ein: War der BH zwischenzeitlich nicht sogar halb abgeschafft? Hatten seit der Pandemie nicht sehr viele Frauen die neue Freiheit entdeckt und Push-ups wie Bügel für erledigt erklärt? Immerhin fragte der Blog TheCut vom New York Magazine seine Leserinnen anlässlich des Victoria Secret »Comebacks«, wer von ihnen seinen BH eigentlich wirklich mag. Das Ergebnis: Nicht so viele. 46 Prozent der Befragten stehen ihm relativ »neutral« gegenüber. Sie finden eher, »macht seinen Job«, »sitzt selten wirklich gut«, »Unterwäsche kaufen macht keinen Spaß.« Kein Wunder, dass Victoria’s Secret dringend diese Show und »den Traum« zurückbringen will. Wobei man sich noch nicht ganz sicher ist, worin der Traum aktuell bestehen soll: Dass man in der richtigen Unterwäsche sofort zum Umfallen sexy aussieht, nur jetzt nicht mehr für den »male gaze«, sondern nur für sich selbst ganz allein? Oder dass man die »Braless«-Episode nur geträumt hat?

Zumindest sind gerade überall »Wäsche-Wochen«. Triumph hat eine großangelegte Kampagne zu einem neuen »Comfort Wire« gestartet, der so gut sitzen soll, dass man ihn glatt vergisst. Die Sängerin Sabrina Carpenter trägt auf ihrer Tour gerade glitzernde Bodysuits und kurze Babydolls, was vielen, aber nicht jedem gefällt, und im Grunde ebenfalls aufgewärmte Sexyness aus den Neunzigern ist, siehe Madonna und Christina Aguilera. Wobei die damals irgendwie emanzipierter aussahen, was allerdings auch an Carpenters ondulierten Haaren liegen kann. Übrigens trägt sie, so ein zeitlicher Zufall, häufig Vintage Victoria’s Secret.

Und während Kate und Lila Moss bei Victoria’s Secret als leichtbekleidetes Mutter-Tochter-Gespann für ein bisschen Aufsehen sorgten, geht das Dessous-Duo für Intimissimi routiniert in die zweite Runde: Heidi und Leni Klum. Die Amerikaner hatten deren erste Kampagne offensichtlich noch nicht mitgekriegt und fanden es auf Social Media ein bisschen »cringe«, dass die Tochter hier halbseiden mit der eigenen Mutter posiert. Wo eigentlich der Engel Heidi bei der Comeback-Show war, fragte dagegen niemand.

Typischer Instagram-Kommentar: »Hot – not«
Das sagt die Dessous-Verkäuferin: »Und was sind jetzt die aktuellen Trends?«
Passender Song: Angel (Eurythmics)