Zugeknöpft am Spielfeldrand

Früher trugen Fußballtrainer Trainingsanzüge, dann richtige Anzüge, nun ist Pressing am eigenen Körper zu sehen – in Gestalt von geschlossenen Polohemden. Eine Stilkritik von Julian Nagelsmann bis Gareth Southgate und einer weiblichen Trainerin, die eine ganz andere Taktik fährt.

Wenn der Trainer einen Hals kriegt, wird's eng – aber das war zum Glück beim 2:0 gegen Ungarn nicht der Fall. Julian Nagelsmann mit Polohemd.

Foto: dpa

Dem »I« entkommst du nicht. Jedenfalls nicht im deutschen Fußball. Nach Schweini, Poldi, Klinsi, Jogi und Hansi haben wir jetzt endlich auch Julian Nagelsmann kleingekriegt. »Julsi« lautet sein Kosename also, eher nicht zufällig per Rückenbeflockung auf dem Trikot der eigenen Lebensgefährtin geoutet.

Jedenfalls möchten wir an dieser Stelle an Julian Julsi Nagelsmann appellieren, sich von diesem etwas brachialen Diminutiv keineswegs beeinflussen zu lassen. Jetzt bloß nicht irgendwie putzig daherkommen wollen bei der EM. Kein Ärmelhochkrempeln, Deckhaar wachsen lassen, vor allem nicht diesen Kragen lockern. Seine bis zum Hals geschlossenen langärmeligen Hemden mit Polokragen sehen zwar immer ein bisschen reserviert und nach Pressing am eigenen Körper aus. Aber bislang geht die Taktik voll auf: Je zugeknöpfter und autoritärer der Trainer, desto befreiter spielt seine Mannschaft. Bei der ersten Pressekonferenz trug Nagelsmann die weiße Variante des waffelartigen Stoffs, bei den beiden Vorrunden-Spielen die dunkelblaue. Hoffentlich kommt jetzt keine Hitzewelle und lässt die Halsschlagader anschwellen.

Abgesehen davon ist die hochgeknöpfte Variante, wie sie bei Prada vor ein paar Saisons auf dem Laufsteg war, natürlich ein gutes Alleinstellungsmerkmal, um sich von anderen Trainern abzuheben. Polohemden in allen Varianten sind nämlich der große Trend an der Seitenlinie. Gareth Southgate trägt statt seinem erfolglosen Dreiteiler mittlerweile ein weißes Polo mit Reißverschluss unter dem dunklen Anzug. Der Schweizer Trainer Murat Yakin lief beim Auftaktspiel gegen Ungarn mit einem dunkelblauen auf, der Rumäne Edwar Iordanescu zog die klassische weiße Variante zum blauen Anzug an – und gewann damit klar gegen die Ukraine. Leider scheinen außer Southgate alle zu glauben, man müsse die sportlichen Hemdchen mit betont klobigen Turnschuhen tragen.

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Die andere Trainerfraktion trägt weiterhin mehr oder weniger klassisch Anzug. Im Fall von Luciano Spalletti mit großem »ITALIA« Schriftzug hinten drauf, was irgendwie so aussieht, als wolle er die Zuschauer krampfhaft daran erinnern, dass die Italiener bei diesem Turnier WIRKLICH dabei sind. Polens Trainer Michal Probierz macht den Southgate von früher und wählte einen Anzug mit doppelreihiger Weste, nur in Bolzplatzschlammbraun. Ralf Rangnick erschien zum Auftaktspiel gegen Frankreich – von wegen Les Bleus und so – im blauen Pullover. Nur noch der Slowene Marjaz Kek trägt die alte, kernige, vom Aussterben bedrohte Übungsleiter-Kluft. Wahrscheinlich wird Jürgen Klopp deshalb nie Nationaltrainer, weil ihm niemand vertraglich zusichert, dass er Trainingsanzug tragen darf.

Wer jetzt findet, dass es insgesamt ganz schön lahm zugeht an den Seitenlinien und mit Wehmut an die großspurigen Auftritte eines Slaven Bilič zurückdenkt – stimmt. Aber wahrscheinlich können die Trainer selbst gar nicht so viel dafür. Ihre Garderobe wird vom jeweiligen Sponsor gestellt. Southgate trägt also brav M&S, Spalletti Emporio Armani, Nagelsmann van Laack. Da kann letzterer persönlich noch so, ähm, wagemutig sein – man denkt spontan an dieses breitkarierte Sakko 2020, mit dem sein RB Leipzig 0:5 gegen Man City verlor – letztlich muss er nehmen, was er kriegen kann. Die jeweiligen Verbände bekommen einen Haufen Geld dafür, die Marken lauter erfolgsduselige Fans plus deren Frauen, die das Outfit mit jedem Sieg noch besser finden und sofort im Netz danach suchen. (Im Fall von »Julsi« ist das übrigens ein Hemd mit »Retrostruktur aus Air Cotton« für 199,95 Euro.)

Für individuelle oder durchgeknallte Outfits scheinen sich da langfristig keine großen Räume aufzutun. Da muss man schon College-Basketball der Frauen mit der Trainerin Kim Mulkey gucken, die eine ganz eigene Show in der Coaching-Zone abliefert. Psychedelische Op-Art Overalls mit Highheels, gemusterte Blazer mit pinkfarbenen Federn, Blusen mit großen Rosetten besetzt. Als wolle sie in einer Liga mit Roisin Murphy und ihren Bühnenoutfits spielen. Gedacht ist das ganze sicher als Empowerment für ihre Spielerinnen. Doof ist natürlich – am Rand – so groß aufzutragen und dann – auf dem Platz – nicht die entsprechende Leistung abzuliefern.

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Vom Ex-Westenträger Gareth Southgate ist übrigens überliefert, dass er mit seiner neuen, lockeren Garderobe zu einer »relaxten Atmosphäre« in der Mannschaft beitragen möchte. Welche Kragenweite besser aufgeht, wird sich dann ja zeigen.

Typischer Instagramkommentar: »Hahaha, vorgeknöpft!«
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