Gören-Sommer

Die sozialen Netzwerke sind gerade voll von giftgrünen Bildern – und überall wird der »brat summer« ausgerufen. Sogar Kamala Harris ist jetzt angeblich »brat«. Was ist da los?

Die Sängerin Charli XCX war als eine der ersten »brat«.

Screenshot: Instagram/charli_xcx, Foto: afp/Erin Schaff

Irgendwann wird in Kreuzworträtseln nach dem »Sommergefühl 2024« mit vier Buchstaben gefragt werden. Antwort, klar: BRAT. Gerade ist nämlich so ziemlich alles brat, allen voran der »Brat Summer« mit den »Brat Girls«, sogar Kamala Harris ist jetzt »brat«.

Wem das Wort trotzdem noch nicht geläufig ist – hier die Genese: Brat ist der Titel des neuen Albums der britischen Sängerin Charli XCX, und sie selbst lieferte dazu folgende Definition mit: Das Konzept repräsentiere eine Person, die vielleicht eine »Packung Kippen plus Bic Feuerzeug bei sich hat und ein weißes Trägertop ohne BH trägt«. Ein Brat Girl sei also ein bisschen »messy«, stehe manchmal kurz vorm Nervenzusammenbruch, feiere trotzdem, sage mitunter bescheuerte Dinge. Insgesamt sei sie aber vor allem sie selbst, ehrlich, geraderaus. »Brat halt.« Das klingt nicht nur rotzig, es sieht auch so aus: Das Albumcover ist giftgrün, die Buchstaben in einfachster DIY-Typo gehalten.

Mal abgesehen davon, dass das Album gleich auf Platz zwei der britischen Charts schoss, ging vor allem das dazugehörige Gefühl viral. Plötzlich wurden Moodboards mit Dingen, die »brat« sind, erstellt (Zigaretten, zerknitterte Tops, Boots), Bücher für den Brat Summer empfohlen und Brat-Partys ausgerufen. Vor allem wurde alles in Giftgrün getaucht, von Nägeln über Lidschatten bis Donuts und Kekse. Memes und Fotos bekamen massenhaft grüne Hintergründe. Farben sind im hypervolatilen Internetzeitalter ja eine große Sache, weil sie als Signal besonders schnell funktionieren. Letzten Sommer war alles Barbie-Pink, jetzt ist alles Brat-Green. Die Konzepte könnten allerdings nicht verschiedener sein.

Brat ist nämlich als eine Art Gegenbewegung zur sogenannten »Clean Girl«-Ästhetik zu verstehen, die auf Tiktok ebenfalls sehr populär ist. Gestriegelte Frauen und Mädchen, die sich bewusst ernähren, nicht trinken, viel Pilates machen und deshalb immer so unverschämt frisch aussehen, dass einen schon beim Zugucken der eigene übersäuerte pH-Wert umhaut. Die Saubermädchen leben bestimmt irre gesund, aber so richtig Spaß macht es halt nicht mit ihnen, weil einem jedes dreckige Lachen im Hals stecken bleibt. Also versammelt Charli XCX in ihrem Video zur Single »360« lieber Frauen wie Julia Fox und Chloë Sevigny, die keine astreinen Vorbilder und nicht immer tiptop durchgepflegt sind, weswegen man sofort mit ihnen um die Häuser ziehen möchte.

Die nicht perfekte, etwas kaputte, aber durchaus hedonistische Attitüde trifft offensichtlich nicht nur bei der Gen Z einen Nerv, der das ganze »Diese Generation ist so und so und lebt dies und das«-Gerede eh gehörig auf die Nerven zu gehen scheint. Sie sind nämlich genauso entschlossen und widersprüchlich, unsicher und »bad-ass« beziehungsweise jetzt eben »brat-ass« wie die Generationen vor ihnen. Die aktuelle Haltung erinnert insgesamt an die Nullerjahre, als trotz Finanzkrise umso härter auf Raves und After-Partys gefeiert wurde, weshalb die Leute mitunter etwas durchgenudelt aussahen.

Was das alles mit Kamala Harris zu tun hat? Auf einem Tiktok-Video ist ein Zusammenschnitt mit Szenen von ihr zu sehen, unter anderem die, in der Harris – inzwischen zum Meme geworden – ihre Mutter zitiert (Kinder würden nicht auf der Erde landen, »aus einer Kokospalme heraus«, sondern sollten stets den Kontext bedenken, aus dem sie kommen) oder öffentlich tanzt. Darüber ist ein giftgrüner Filter sowie »360« von Charli XCX gelegt und jedes Mal, wenn im Lied die Zeile »I’m so Julia« ertönt, erscheint auf grünem Font »I’m so Kamala«. Das Video hat mittlerweile über 500 Millionen Likes, vor allem postete Charli XCX – die übrigens ebenfalls indische Wurzeln hat – auf X »Kamala IS brat« und gab damit quasi hochoffizielles giftgrünes Licht, das die Wahlkampfstrategen von Harris sofort nutzten: Kurz darauf erschien der ehemalige Biden-Account auf X und Instagram als »kamala hq«– mit giftgrünem Hintergrund.

Tatsächlich passt das Konzept ja ganz gut zur 59-Jährigen, die gelegentlich aneckt, weil sie manchmal etwas zu laut lacht oder sich fürs Vogue-Cover damals nicht konventionell genug kleidete. Sie ist definitiv sie selbst und geradeaus. Ob auch rotzfrech, wird man dann wohl demnächst beim Schlagabtausch mit Donald Trump sehen.

Typischer Instagramkommentar: »Brat sagt mir nix. Ich kenn' nur Bratwurst«
Das sagt die Gucci-Verkäuferin: »Wir hatten dieses Limonengrün schon letzten September auf dem Laufsteg!«
Passender Song: 360 (Charli XCX)