Auf die Idee mit der Bierfalle hatte ihn einer vom Nachbarbeet gebracht: einfach eine Schale mit Bier neben das Beet stellen, der Geruch lockt die Nacktschnecken an, die dann im Bier ertrinken. Das ist zwar nicht schön, aber zwei Salatköpfe hatten die Biester ihm bereits »plattgemacht«. Leo, der mit seiner Freundin und den beiden Töchtern in einer Kreuzberger Altbauwohnung ohne Balkon lebt, ist seit vergangenem Sommer Gemüsegärtner.
Wie die meisten Menschen um die 30 dachte er, wenn er an Gemüse dachte, an den Supermarkt. Nun denkt er an den Flughafen Tempelhof. Seit 2010 ist das ehemalige Flugfeld mitten in Berlin ein riesiger Park, und der schönste Ort in diesem Park ist die Kolonie aus selbst gezimmerten Hochbeeten auf der östlichen Seite, die an Neukölln angrenzt. Wobei Kolonie viel zu sehr nach Schrebergarten klingt. Die Beete hier sind kreuz und quer über die Wiese verteilt, an vielen wehen Piratenflaggen, an manchen hängen alte Lampenschirme, es sieht aus wie ein Gartenprojekt von Kunststudenten oder eine Wagenburg.
Die Geschichte des Tempelhofer Gemüsegartens ist schnell erzählt: Nachdem der Flughafen geschlossen war, bewarben sich Dutzende Bürgerinitiativen bei der Stadt mit Konzepten für eine Zwischennutzung der neuen Parkanlage. Eine Initiative war das »Allmende- Kontor«, die Idee: ein Gemeinschaftsgarten. Im Frühjahr 2011 startete das Projekt auf einer Fläche so groß wie ein Fußballplatz. Zuerst kamen die jungen Kreativen, Studenten, Freiberufler, die vielleicht schon mal etwas von Urban Gardening im Internet gelesen hatten. Dann fragten auch Familien, deutsche, ukrainische, türkische, nach einem Beet; Menschen, die vielleicht früher einmal einen Garten hatten, ihn sich aber irgendwann nicht mehr leisten konnten – auf dem Tempelhofer Feld zahlt jeder zwischen einem und zehn Euro pro Monat, ganz wie er kann und will. Ende Juli war der Platz dann voll.
»Zwischendurch haben wir uns schon gefragt: Wird uns das überrollen?« sagt Gerda Münnich, eine der Initiatoren des Projekts. Münnich hat vor zehn Jahren ihren ersten Gemeinschaftsgarten in Berlin gegründet, aber so einen Ansturm hatte sie noch nie erlebt. Plötzlich interessierten sich auch Unternehmen für das gemeinnützige Projekt. Ein Baumarkt zum Beispiel wollte Werkzeuge spenden und dafür ein eigenes Beet mit Werbebanner aufstellen. Münnich und ihre Kollegen haben das alles abgelehnt. »Wir wollen nicht, dass irgendwer Ansprüche erheben kann«, sagt sie.
Auf der Wiese zwischen den Beeten wird im Kleinen verhandelt, was in Berlin derzeit die stärksten Gefühle auslöst: Wem gehört die Stadt? Wer entscheidet, wie sie in zehn Jahren aussehen wird? Das Geld der Investoren, die Modernisierung und Arbeitsplätze versprechen? Oder die Menschen, die hier zu Hause sind und Angst vor steigenden Mieten und seelenlosen Bürokomplexen haben? Der Zwischennutzungsvertrag mit der Stadt läuft noch bis 2013, vielleicht wird bis 2016 verlängert, dann ist aber wohl endgültig Schluss, weil die Vorbereitungen für die Internationale Gartenausstellung IGA 2017 auf dem Flugfeld beginnen. Danach sollen da, wo jetzt die Hochbeete stehen, Apartments gebaut werden.
Leos Beet besteht aus einer Europalette, auf die er sechs Obstkisten genagelt hat. Es sieht aus wie ein bewachsenes Floß. Jetzt, wo es Frühling wird, radelt er mit seiner Familie wieder zweimal die Woche hierher. Aussäen, gießen, in der Sonne sitzen.
Leos Ziel für diesen Sommer: Er will sein Beet höher bauen, damit die Schnecken es gar nicht erst bis zum Salat schaffen.
Fotos: Michael Jungblut