Manchmal denke ich wehmütig an den hüftlangen, weißen Kunstpelzmantel, den ich mir vor zehn Jahren in Berlin gekauft habe. Darin sah ich auf den ersten Blick aus wie eine abgetakelte Bordsteinschwalbe – aber gefühlt habe ich mich wie ein Rockstar. Dieses Gefühl ist irgendwann zwischen weißen Hemden, Krawatten, V-Ausschnitt-Pullovern und Ehefrau verloren gegangen, zusammen mit dem Mut, mich auch mal ins modische Fettnäpfchen zu wagen. Damit bin ich nicht allein.
Wer Männer beim Kleidungskauf beobachtet, braucht keine Profiler-Ausbildung, um ihre Gedanken zu lesen: Passe ich in diese enge Hose, wenn ich die Luft anhalte? Steht mir gestreift? Was ist bloß aus mir geworden? Hat mein Leben einen Sinn?
Beim Verlassen des Kaufhauses steht dann etwas anderes im Gesicht der Männer: die Lust auf einen Drink. Zu Recht. Hemingway schrieb frei heraus, wenn er trank, Jackson Pollock hat betrunken am besten gemalt, und Ozzy Osbourne hätte nie einer Fledermaus den Kopf abgebissen, wenn er nüchtern gewesen wäre. Seit Anbeginn der Zeit nutzen wir den Rausch, um das Schlimmste und Beste aus uns herauszukitzeln: unser wahres Wesen. Lassen wir die Bilder von Sucht und Verfall beiseite, dann ahnen wir: Männer sollten ihre Kleidung am besten angetrunken kaufen.
Es geht ja nur um einen Drink, der die Stimme der Vernunft ausschaltet, die flüstert: Als Angestellter kannst du keinen Herrenrock tragen! Den Gedanken an die schimpfende Ehefrau auszublenden, die nicht verstehen will, dass Baggy Pants Freiheit im Schritt bedeuten. Ein kleiner Rausch, eine Halbe nur, lässt uns vergessen, dass wir zu alt sind für hohe Doc Martens oder zu jung, um mit einem silbernen Gehstock zu flanieren. Die Frauen machen es doch auch: In Edelboutiquen knallen die Champagnerkorken, damit sich die Kundinnen vor dem Spiegel noch schöner trinken können.
Robert Greil, Verkaufsleiter bei Hirmer in München, dem nach eigenen Angaben weltweit größten Herrenmode-Haus, hält zwar nichts von der Idee, angetrunken einkaufen zu gehen: »Ich stufe den deutschen Mann schon als selbstbewusst genug ein, er weiß, was er zu welcher Gelegenheit tragen kann.« Aber manchmal hört auch er Männer beim Anprobieren zu ihren Frauen sagen: »Dir muss es gefallen, Schatz, du musst mich darin anschauen.«
Doch egal, wie unsicher wir sind – wahrscheinlich dürfen wir Männer nicht gerade Fachpersonal befragen, ob der Rausch vor dem Einkauf eine gute Idee ist, sonst redet es uns noch die He-Man-Socken, den Schlangenledergürtel und die geflochtene Herrenhandtasche aus. Und wäre das nicht unendlich schade?
Mein weißer Pelzmantel landete übrigens, kurz nachdem ich mit meiner heutigen Frau zusammengezogen bin, in der Altkleidersammlung des Deutschen Roten Kreuzes. Mich tröstet der Gedanke, dass ihn heute der Nachwuchs irgendeiner bedürftigen Familie trägt. Und sich darin fühlt wie ein Rockstar.
Illustration: Serge Bloch