Meine aktuelle Droge: Hibiskustee. Ich habe von einer medizinischen Studie mit 65 Teilnehmern gelesen, der zufolge drei Tassen Hibiskustee pro Tag den Blutdruck senken. Da ich leicht erhöhten Blutdruck habe, setze ich diese Studie an mir selbst fort, als 66. Mann.
Wobei ich darauf warte, dass eine andere medizinische Studie auftaucht, nach deren Ergebnis Hibiskustee die Fähigkeit zum Kopfrechnen beeinträchtigt, dem Blutdruck aber egal ist. Zu jeder medizinischen Studie gibt es bald eine Gegenstudie. Wer erinnert sich nicht an Zeiten, als es hieß, Kaffee senke den Flüssigkeitsspiegel im Körper? Man solle deshalb zu jeder Tasse etwas Wasser trinken. Bald tauchten andere Studien auf, die das für unwahr erklärten, dafür behaupteten, Kaffee schütze vor Leberkrebs. Unvergessen jene russischen Forscher, die Ratten Kaffee verabreichten. Plötzlich fürchteten sich die Tiere vor abgedunkelten Ecken ihrer Käfige. Auch mich befällt nach dem vierten Espresso Angst vor den Käfigecken, und ich muss im Laufrad strampeln, um Glückshormone aus der Nebennierenrinde zu kitzeln; dann erst kann ich medizinische Studien lesen, die in finstersten Käfigwinkeln liegen.
Ein exquisites Vergnügen für Freunde körperlicher Gebrechen ist der Besuch von Internetforen zu gesundheitlichen Problemen. Hier tauschen sich Menschen mit Namen wie apfelschnecke, hasenhirn oder Brotspinne2003 zum Beispiel über den bitteren Geschmack aus, den Ilona71 seit ein paar Tagen im Mund hat. Gras-Halm gibt zu bedenken: die Galle? Angiekw meldet sich mit der Nachricht, sie habe, an gleichen Symptomen leidend, nach vielen Untersuchungen »darauf gedrungen, Kot auf Pilze zu untersuchen«. Zwei Untersuchungen negativ, die dritte positiv! Nach neun Wochen Nystatin gehe es nun besser, »habe jetzt allerdings einen süßen Geschmack im Mund«. Woraufhin Christian892 mitteilt, auch er habe komi-schen Geschmack samt Glucksen im Magen/Darm sowie »mittelleichten diffusen Haarausfall« nebst Stechen im Unterleib, auch sei sein Stuhl »öfters so komisch furchig und teilweise ineinander anders gefärbt«. Angiekw: »Hört sich ganz nach Pilzen an.« Ilona71: »Mein Hausarzt hat mich übrigens am Dienstag nach Hause geschickt, weil meine Probleme den zeitlichen Rahmen sprengen würden.«
Kurz: Man staunt und lacht und weint und fasst es nicht.
Immer noch liegt hier der Spiegel vergangener Woche mit der
Titelgeschichte über wissenschaftliche Zweifel am Nutzen medizinischer Vorsorgeuntersuchungen, die manchmal hülfen, oft aber riskant seien oder zu Operationen führten, die unnötig wären. Da rennt man zu Magenspiegelungen, Darmbetrachtungen, Haut-Screenings – und jetzt dies? Gesunden Menschen Lebensmut zu geben sei nicht Aufgabe der Medizin, wird ein Arzt zitiert, dafür sei die Religion da. Aber gab es nicht an der Religion auch Zweifel?
In der Zeit war neulich ein Gespräch mit dem Klimawissenschaftler Schellnhuber, nach dessen Ende ich einige Zeit lang mit geschlossenen Augen in der dunkelsten Ecke saß, so wenig Optimismus hatte der Mann. Seine letzte Hoffnung? »Dass sich die Wissenschaftsgemeinschaft in der Klimafrage kollektiv geirrt hat. Das ist mein dickster Strohhalm. Vielleicht haben wir irgendetwas Entscheidendes übersehen…
«Kann es sein, dass alle überfordert sind? Die Laien mit der Wissenschaft, die Wissenschaftler mit den Laien, die Laien mit sich selbst, die Wissenschaftler mit der Wissenschaft?
Apropos Hoffnung, Religion: In der Rheinischen Post, in der Kölnischen Rundschau, ja sogar in der Süddeutschen las ich die Überschrift: »Obama geht auf Kuba zu.« Heißt das: Karibik trocknet aus? Friert zu? Oder kann er, am Ende, wie Jesus…?
Leserin H. berichtet dem Wortstoffhof aus Poing bei Ebersberg von einem See mit ringsherum aufgestellten Schildern: »Wasserfläche betreten verboten«.
Jesus kommt? Obama? Auf jeden Fall heißt es: Schleich dich, und lass deine Füße von unserem See!
Illustration: Dirk Schmidt