Ferienbeginn. Ich hasse Staus. Das Eingesperrtsein unter Menschen und Maschinen. Das Bewegungslose.
Wir fahren nach Italien, sonntags. Da fahren keine Lkws, die Autobahn ist nur halb so voll. Ich las mal, viele Firmen hätten aus Ersparnisgründen die Lager für Teile aufgelöst, die sie zur Herstellung ihrer Produkte benötigen, und dafür gesorgt, dass diese Teile pünktlich zur Produktion mit Lkws in die Fabrik gebracht werden. Die Lager sind auf die Straßen verlagert worden, unsere Autobahnen ein rollendes Teile-Lager, finanziert mit Steuergeldern, Wahnsinn.
Aber sonntags fahren Lkws nicht. Die Einzigen, die sonntags auch fahren, sind Wohnwagenbesitzer aus Holland. Es würde mich nicht wundern, wenn ich morgen läse, alle Holländer hätten aus Ersparnisgründen ihre Wohnsitze aufgegeben und lebten in rollenden Wohnwagen auf deutschen Autobahnen, weil diese den Benutzer nichts kosten. Sie fahren in Deutschland hin und her, Staus sind ihnen egal, im Gegenteil, da sparen sie Benzin, können hinten in den Wohnwagen sitzen und gemütlich Käsehüte tragen.
Holland ist ein kleines Land. Was geschieht, wenn die Chinesen erfahren, wie billig man so bei uns leben kann? ***
Ich habe ein Navigationssystem. Als wir das letzte Mal aus Italien zurückkamen, prophezeite das System am Gardasee einen Stau und wies uns an, die Autobahn zu verlassen. Wir leisteten Folge und wollten an der nächsten Einfahrt wieder auf die Autobahn auffahren. Als ich dort stand, wo man sein Autobahnticket zieht und wo es kein Zurück mehr gibt, sagte das System: »Verkehrslage hat sich geändert.« Stau auch auf dem Autobahnstück vor uns!
Ich verließ die Ticketbox. Bog, irre vor Stau-Furcht, nicht münchenwärts ein. Sondern Richtung Süden.
»Was tust du?«, fragte Paola.
»Ich weiche dem Stau aus.«
»Aber deswegen können wir doch nicht zurückfahren!«
Wir konnten aber nun sehen, dass auf der Gegenseite, dem Straßenstück, dem wir zuvor ausgewichen waren, kein Stau war. Das Navigationssystem hatte gelogen! Wir drehten bei nächster Gelegenheit um, fuhren wieder Richtung München, frei und unbehelligt, und beschlossen, wegen dessen mangelhafter Glaubwürdigkeit Warnungen des Navigationssystems vor dem nächsten Stau zu ignorieren.
Diesmal hatte das Gerät aber recht. Wir standen, warteten, rollten, warteten, rollten, diskutierten, warteten, stritten, rollten, während auf der Rückbank Luis sich am Gameboy in den Wahnsinn daddelte und Sophie am DVD-Spieler die 831. Folge von SpongeBob Schwammkopf anschaute und selbst schon schwammköpfig aussah.
Irgendwann ging’s weiter. Wir waren acht Stunden unterwegs. Sophie warf plötzlich den DVD-Spieler von sich, Luis schrie, weil sie sein Knie getroffen hatte, sie schlug ihn, er zurück.
Plötzlich Hinweise auf den automatischen Anzeigen über der Straße: Stau hinter Brixen. Das Navigationssystem schwieg. Welcher Maschine glauben? Ich verließ die Autobahn. Wir befuhren neben der Autostrada die Landstraße. Sahen den Stau, während die Kinder stritten.
Wir versuchten, sie abzulenken.
»Oh, die vielen Autos da drüben!«, rief Paola. »Und wir haben freie Fahrt!«
»Ist doch egal!«, schrie Sophie.
»Nicht egal«, sagte ich. »Wir haben es richtig gemacht. Wir sind sehr klug. Wir sind klüger als alle Maschinen.«
»Nein!«, schrie Sophie.
»Doch«, sagte ich. »Ihr habt sehr kluge Eltern.«
»Nein!«, schrie Sophie.
»Das bedeutet, dass auch ihr sehr klug seid«, sagte Paola.
»Nein«, schrie Sophie. »Wir sind alles riesengroße Deppen!«
»Woher weiß sie das?«, flüsterte Paola.
Bei Sterzing schickte das Navigationssystem uns auf die Autobahn, in den Stau vor der Mautstelle, direkt neben einen Kühl-Lkw, einen mit Ausnahmegenehmigung für Sonntage. Knirschend fuhr eines seiner Räder über mein Navigationsgerät, das aus dem offenen Autofenster geflogen war. Ich hatte etwas entdeckt, was ich mehr hasse als Staus: miese kleine Maschinen, die keine Ahnung vom Leben haben.