In der Zeitung las ich etwas über die Eisschnellläuferin, die seit zwanzig Jahren nichts anderes tue als eisschnellzulaufen, immer linksherum, immer auf Eis, immer schnell, Tag für Tag, sie könne nichts anderes, das sei ihr Leben. Aber nun darf sie nicht mehr an Wettbewerben teilnehmen, man hat sie gesperrt, mit ihrem Blut war was nicht in Ordnung. Es waren Dinge darin, die nicht hinein- gehörten, nicht in dieser Menge.
Mir fiel ein, dass auch ich seit Jahrzehnten nichts anderes tue, als ich jetzt hier mache, ich gruppiere Buchstaben zu Wörtern, ich sortiere Wörter zu Sätzen, ich hänge Sätze aneinander, immer von links nach rechts, immer schnell, Woche für Woche, ich kann nichts anderes, das ist mein Leben. Aber was ist mit meinem Blut?
Mein Internist untersuchte es. Er fand, ich hätte zu niedrige Eisenwerte, unternahm das medizinisch Angezeigte, untersuchte meinen Darm, meinen Magen, alles in Ordnung, alles im Lot, alles paletti. Aber eben zu wenig Eisen. Bereits kamen erste Leserbriefe: Man konstatiere in meinen Formulierungen neuerdings etwas Weiches, es fehle den Sätzen die nötige Härte, etwas früher durchaus Vorhandenes, Metallisches, Klirrendes, mit eisernem Besen die zeitgeschichtlichen Vorgänge Durchfegendes.
Die Redaktion war alarmiert. Mein Betreuerstab versammelte sich. Mein Cheftrainer stand vor der Entlassung. Stundenlange Beratungen. Man entschloss sich, mir größere Mengen Blut abzunehmen und dies außerhalb meines Körpers mit einer Mischung aus den pulverisierten zehn härtesten Leitartikeln der Saison, dem Saft von zweihundert ausgepressten Ks, Rs, Ts und Zs sowie einigen Spänen des Originalschwertes von Hermann, dem Cherusker, zu versetzen, in einer Zentrifuge. Das wird man meinem Körper ab morgen sukzessive wieder zuführen.
Is’ echt knallhart hier, Leute. Was wir tun, mag im Eisschnelllauf verboten sein. Bei uns nicht.
Auch verfolge ich die Berichte über den Wettskandal im Fußball. Dass also Kriminelle einzelne Spieler oder ganze Mannschaften in oberen, mittleren, unteren sowie untersten Ligen bestechen und Ergebnisse manipulieren, um mit entsprechenden Wetten Geld zu verdienen. Ja, es soll sogar einzelne Spieler geben, die Angestellte der Wettmafia sind, dann bestimmten Klubs zur Verfügung gestellt werden und dort im Sinne ihrer wahren Arbeitgeber kicken.
Als ob es das nur im Fußball gäbe! Kürzlich bot ein Herr mit undeutlicher Aussprache mir am Telefon eine Stange Geldes an, für den Fall, dass ich in einer Kolumne die Wendung »das herzallerliebste Jesulein« einflechten würde, egal in welchem Zusammenhang, nur diese drei Wörter.
Mir war die Sache rätselhaft, doch ging ich ihr nach und stellte fest, dass seit Jahren in einem Bangkoker Wettbüro auf das Auftreten bestimmter Formulierungen in meinen Texten gewettet wird, ja, man kann auch sein Geld darauf setzen, welches Thema ich in der kommenden Woche anschneiden werde. Schließlich ist es sogar möglich, zu wetten, ob ich bestimmte Figuren vorkommen lasse oder nicht. Ob Paola oder Bruno einen Auftritt haben.
»Fierzicktausent, wenn einmal mein Freund Dragan in Text«, murmelte auf der Straße ein dunkelhaariger Herr mit viel Eisen im Blut, als ich an ihm vorbeiging. »Doppelte, wenn zwei Mal. Achtzick.«
In Bangkok werden 1:30 für einmal Dragan gezahlt, 1:75 für zweimal. 1:15 für das herzallerliebste Jesulein. Ich bitte Sie! Dragan, Dragan. Das herzallerliebste Jesulein. Ist doch leicht. Stört keinen. Machen alle. Tut nicht weh. Und ich brauche das Geld. Das ist ein hartes und schmutziges Geschäft hier. Ich habe es nicht erfunden.
Nächste Woche an dieser Stelle: Alles über meine Verwicklung in den internationalen Buchstabenschmuggel. Bleiben Sie dran, wenn Sie mögen!
Wer sich selbst ein Bild vom gedopten, hammerharten Axel Hacke machen will, kann dies am 8.12. in Darmstadt, am 9.12. in Dortmund und am 10.12. in Wuppertal tun. Erstklassige Wettbüros in Bangkok nehmen auch noch Wetten entgegen, welche Stücke er in diesen Städten lesen wird.
Dirk Schmidt (Illustration)