»Manches«, hat die Kanzlerin in ihrer vorab veröffentlichten, von mir aber erst im Nachhinein gelesenen Neujahrsansprache gesagt, »wird gerade im neuen Jahr erst noch schwieriger, bevor es wieder besser werden kann.«
Manches! Noch schwieriger!
Wird mein Leben »manches« sein? Wird es »noch schwieriger«? Ist nicht das Verfassen einer wöchentlichen Kolumne schwierig genug? Wie oft muss ich noch auf das Elend eines Mannes hinweisen, der sein sisyphotisches Dasein jeden Tag vor einer leeren Textmaske beginnt, die abends gefüllt sein muss, eines Mannes, der bei abnehmenden Verstandesqualitäten, verkalkenden Arterien und nachlassendem Gedächtnis, dies in problematischen Zeiten, Sätze von einem den Leser in den Bann ziehenden Beginn zu einem faszinierenden Ende zu führen hat, stets in Angst, dieser Leser, ja am Ende möglicherweise sogar die Leserin könnten sich von ihm abwenden, ihn ins Nichts formulieren lassen, aber er muss doch eine Familie ernähren, der Autor, ja, er … Wo war ich? Das ist »manches«! Das ist ein Leben im »manchen«! Wie soll es noch schwieriger werden? Soll ich jedem Leser meiner Texte ein kostenloses Buchstaben-Set schenken? Zweimal pro Woche eine Kolumne verfassen? Wie denn, wenn dieses Magazin nur einmal wöchentlich erscheint!?
Nun, da das Jahr begonnen hat, sehe ich ähnlich Kämpfende, wohin ich blicke. Nehmen wir den Metzger Murr, der in den vergangenen Wochen einen »Schweinehals o. Kn.« hat reifen lassen, »extra zart«, wie er betont, ja, der eine Haxensülze mit Kümmel hausgemacht hat, dass einem das Wasser aus dem Mund heraus auf den Murr’schen Werbeprospekt mit seinen Haxensülzenfotos tropft – und der nun aber vielleicht fürchtet, die Menschheit habe beschlossen, in diesem schwierigen Jahr keinen Schweinehals o. Kn. zu essen und auch der Haxensülze abzuschwören. Der nun von der Angst erfasst wird, mit »manches« könnte die Kanzlerin auch ihn, Murr, gemeint haben.
Was tut er? Er bietet uns die Haxensülze mit nur zehn Prozent Fett, aber 31 Prozent günstiger an, ja, er zieht vom eigentlich ins Auge gefassten Preis des Schweinehalses o. Kn. sogar 38 Prozent ab, mit anderen Worten: Er wirft einem diese Haxensülze und den Schweinehals o. Kn. praktisch hinterher, gegen Vorlage eines im Prospekt abgedruckten Gutscheins.
So beginnt das Jahr, so begann es überall.
Möbel-Höffner erlässt den Kunden die Mehrwertsteuer (das sind ja nun auch schon 19 Prozent) und nennt dies »das Ereignis des Jahrhunderts«. XXXLutz berichtet von seinem größten Preissturz aller Zeiten im WSV: bis zu 77 Prozent. Bei OBI erhält der Interessierte eine »Vanity-Box«, kinderfreundlich und lebensmittelecht (also auch zum Transport größerer Mengen Haxensülze geeignet) für 4,99 Euro, das ergibt 61 Prozent Nachlass, wobei diese Box zwar nur einen Deckel, dafür aber »zwei Durchgriffe« hat, es kann also 2010, wenn auch nur bei dieser Box, endlich wieder ordentlich durchgegriffen werden.
Der Teppich-Händler Kibek schenkte einige Tage lang ebenfalls jedem Teppichkunden die Mehrwertsteuer. Das erinnerte mich an jene ohnehin unvergessene Pressemitteilung aus dem Jahr 2001, als er, Kibek, aus Anlass seines fünfzigsten Teppichhändlergeburtstages dreißig Prozent Rabatt gewährte, was offenbar erstens zu einem gewaltigen Kundenansturm führte, den Pressesprecher aber zweitens zu der Feststellung veranlasste, alle Kibek-Mitarbeiterteams seien »auf dem Teppich« geblieben. Es ist alles ungeheuer, und im Kaufhof gibt es drei Aktenordner in Wolkenmarmordekor für dreifünfundzwanzig.
Wohin soll das führen? Wird es in ein, zwei Jahren überhaupt noch Preise geben? Bekommen wir alles geschenkt? Und was kommt auf uns zu, wenn die Zeiten, in denen man im Restaurant von Möbel-Höffner ein Hühnerfrikassee »Gärtnerin Art« mit Reis für zweineunzig erhält, »wieder besser« werden?
Bis zur Lektüre des Möbelprospekts hielt Axel Hacke die Reparatur des durch herabfallende Brotkrümel lahmgelegten Teilchenbeschleunigers in Genf für das "Ereignis des Jahrhunderts". Gern ließ er sich eines Besseren belehren.