Wenn ich eine Liste aufstellen müsste unter dem Titel »Momente, in denen ich mir irgendwie blöd vorkomme«, stünde weit vorn der Augenblick, in dem ich aus alten Joghurtbecherdeckeln gedrehte Kügelchen in den riesigen Altmetall- und Aluminiumcontainer am Spielplatz werfe. Bitte, wenn man Weinflaschen in den Altglasbehälter wirft, das scheppert wenigstens, und man hat ein Gefühl von Volumen, Fülle! Und die alten Zeitungen muss ich in die ohnehin überfüllte blaue Papiertonne im Müllraum stopfen; auch hier verlasse ich die Abfallkammer im Gefühl, wirklich etwas beigetragen zu haben. Aber diese Kugerln in die Leere des Gehäuses …
Das kommt einem sinnlos vor, als versuchte man, das Isarbett mit Steinchen zu füllen, um den Fluss irgendwann mal zu Fuß überqueren zu können. Wenn wir vom Abfall reden: Ist es nicht erstaunlich, dass gerade jüngere Menschen heute immerzu von der Angst gepeinigt zu sein scheinen, sie könnten eines plötzlichen Durst-Todes sterben oder an akutem Kaffee-Mangel verrecken? Die Leute gehen praktisch nicht mehr auf die Straße, ohne eine Mineralwasserflasche in der Hand, als lebten wir in der Sahara, und Pappkaffeebecher tragen sie bei sich wie Bienenallergiker ihren Adrenalininjektor, als wäre es möglich, dass man bei einer plötzlichen Koffeinunterversorgung Sofortmaßnahmen ergreifen müsste.
Was könnte man aber nicht alles aus den Millionen Bechern machen, die auf diese Weise Tag für Tag in den Müll wandern? Und was wäre aus den Plastikdeckeln herzustellen, mit denen die Menschen die Becher nach oben hin verschließen, damit es ihnen nicht in den Latte macchiato regnet?
In Indien mischt man bereits, lese ich, geschredderten Plastikmüll jenem Bitumen bei, mit dem Straßen geteert werden; das macht sie enorm monsunfest. Geschmolzene und weiterverarbeitete Kaffeedeckel: Am Ende gäbe das auch ein neues Skelett für den empfindlichen Franck Ribéry oder extrastabile Kunststoffhelme für die Polizei. Oder auch einfach neue Kaffeedeckel.
Übrigens haben Polizisten in Oxford, wo es in diesem Winter so viel schneite wie nie, spontan eine schöne Zweitverwertung für die Kunststoffschilde entdeckt, mit denen sie sich sonst gegen Steinhagel aus Demonstrantenmengen schützen: Sie stapften ein Oxforder Hügelchen hinauf und fuhren auf ihren Schilden Schlitten, jauchzende Oxforder Bullen sausten zu Tal wie Kinder auf diesen Plastikschlitten mit Haltegriff, die in Oberbayern den sehr schönen Namen Zipfelbob tragen, weil eben dieser Haltegriff zwischen den Beinen – klar, oder, auch in Hamburg?
Ein Bild, das einem das Herz aufgehen lässt, nicht jedoch dem Chef der Oxforder Polizei, der alle Beteiligten mit einem Anschiss erster Klasse versah. Wie kann man nur so stumpfsinnig sein angesichts der zu Ende gehenden Erdölreserven: Alles, was aus Plastik ist, muss mehrfach genutzt werden!
Der Luis ist auf dem Schulweg ausgeglitten, als er im Laufschritt die Trambahn erreichen wollte. Mit dem Handy rief er daheim an, ein Anruf, wie ihn alle Eltern fürchten: Er liege auf der Straße, könne nicht mehr aufstehen. Als ich kam, war er im Notarztwagen, sein Bein gebrochen – warum? Weil er auf einen Kaffeebecherdeckel getreten war, der auf dem Eis des Gehweges weiterrutschte.
Nun geht er wochenlang an Krücken. Als er im Notarztwagen lag, wollte der Fahrer den Wagen starten, aber er sprang nicht an. Ein Hilfsauto kam, um den Motor fremdzustarten – ging aber auch nicht. Ein weiterer Notarztwagen tatütatate herbei, nahm Luis auf. An der Trambahnhaltestelle standen drei Feuerwehrwagen zu Ehren meines Sohnes. Und alles wegen eines Kaffees to go.
Immer wenn ich nun irgendwo einen Kaffeebecherdeckel herumliegen sehe, hebe ich ihn auf und werfe ihn in den allgemeinen, unsortierten Müll. Ich will doch nicht, dass aus ihm neue Kaffeebecherdeckel gemacht werden. Ist mir zu
gefährlich.
In Ermangelung eines Plastikschilds versuchte Axel Hacke, seine Bücher zu Schlitten umzufunktionieren. Wumbaba, das fand er schnell heraus, rodelt aber eher ungern.
Illustration: Dirk Schmidt