Bitte, nun ist Frühling. Ich blicke an meinem entblößten Körper entlang gen Süden, und ich sehe Wölbungen, Rundungen, Ausbuchtungen, lauter -ungen und -ungen und -ungen.
Ich höre aus dem Bad, von der Höhe der Waage herab, die Klagen und Fragen Paolas, meiner Frau (»Warum hast du mich nie gewarnt? Warum hast du mich so weit kommen lassen?«). Ich zerre am Verschlussknopf meiner Jeans. Und es tröstet mich nicht, dass die Zeitschriften beim Friseur großvolumige Weiber wie Beth Ditto und Gabourey Sidibe abbilden und Fett zum Trend der Saison erklären, nein, es tröstet mich nicht, denn ich bin Kolumnist, und von einem Kolumnisten kann die Öffentlichkeit mit Fug und Recht vollkommene Durchtrainiertheit und einen saftigen Kolumnistenarsch in der Hose verlangen.
So ging ich (mit Luis zusammen, der die Muskulatur seines im Winter gebrochenen Beines stärken muss) wieder ins Müllersche Volksbad, unten an der Isar. Wir müllerten gemeinsam die Fünfzigmeterbahn auf und ab, und ich dachte daran, wie es war, als ich vor Jahrzehnten in die Nordsee stieg, jung, muskulös, beladen mit Kraft und Energie, und wie ich mich in die Wellen warf, als bräche ich zur Weltumschwimmung auf, und wie ich aber schon in der Brandung ein Nachlassen der Kräfte spürte und dass ich mich nun hier, in diesem Müllerschen Aquarium befand, sozusagen als Hai gestartet und als Karpfen geendet …
Wie oft habe ich in den Jahrzehnten seither in der Öffentlichkeit gefordert, endlich möge jemand die Welt umschwimmen, ja, man möge aufhören, den Globus zu umsegeln, umrudern, umradeln, umwandern, nein, es solle jemand bei Dover ins Wasser steigen, sich in den Atlantik hinauskämpfen, auf Azoren-Höhe eine erste, aus dem Beiboot gereichte Mahlzeit zu sich nehmen, die Bermudas weiträumig umkraulen, dann durch den Panamakanal und – unter den Philippinen hinwegtauchend – borneowärts das Wasser mit kräftigen Zügen teilen, hinter Singapur sich rechts halten, Kurs Rotes Meer, Suez, dann durchs Mittelmeer. Bei Calais muschelbedeckt aus dem Wasser steigen.
Niemand tat es, meinem dringlichen Verlangen zum Trotz. Allenfalls durchschwamm wieder einer zum tausendsten Mal den Ärmelkanal, herrje, wie öde ist das denn!?
Doch nun lese ich, der ich längst aller Hoffnung bar war, die Geschichte von Dan Martin, Engländer, 28 Jahre alt, 1,96 Meter groß, 139 Kilogramm schwer. Dieser Kerl ist schon von Seoul nach Kapstadt mit dem Rad gefahren, durch Afghanistan, den Iran, den Irak. Bald aber, im Mai, will er in New York in den Hudson River steigen und von dort aus, nur mit Badehose, -kappe sowie Schwimmbrille bekleidet, durch den Atlantik kraulen, übers Grab der Titanic hinweg.
Will bei Brest (nach vier bis sechs Monaten, bei acht Stunden Schwimmen pro Tag und Nächten auf dem Beiboot) aus dem Wasser gehen, sich aufs Fahrrad setzen und nach Uelen radeln, das befindet sich im Fernen Osten Russlands, auf der Tschuktschen-Halbinsel. Von dort soll es in täglichen Marathon-Läufen nach New York gehen.
Er will Ende 2011 ankommen. Wäre dann 30 Jahre alt.
Er nimmt täglich 7000 bis 9000 Kalorien zu sich, damit er Kraft genug hat und ihm warm ist im Meer. Auf Fotos sieht er dicklich aus, mit Männerbrüsten, wie einer von uns. Doch misst er, wie erwähnt, einen Meter sechsundneunzig.
Einer wie Dan Martin (oder er selbst?) müsste es sein, der eines Tages von Brest aus weiter durch den Ärmelkanal zum Rhein schwimmt, sich einem Lachs gleich rheinaufwärts arbeitet, zum Rhein-Main-Donau-Kanal, schließlich zum Schwarzen Meer, von dort durch den Bosporus nach Suez und in den Pazifik.
Oder, wenn die Meeresspiegel gestiegen sind, über das ehemalige Nordfrankreich und Holland hinwegschwimmen, links an Norwegens Küste entlang durch die dann eisfreie Barentssee an der Komsomolzen-Insel vorbei zur Nord-West-Passage nach New York …
Ich selbst werde es nicht mehr machen können. Aber, bitte, wenn es dereinst hoffentlich einer tut, gedenkt des Mannes hier, der die Weltumschwimmung wieder und wieder anregte und nie aufhörte, sie der Menschheit abzufordern.