Hotel in Frankfurt: Gute Nachricht für mich, sagt die Dame am Empfang, »Sie bekommen ein Upgrade.«
»Ist es ein ruhiges Zimmer?«, frage ich.
Sie zögert kurz. Dann sagt sie: »Ja.«
Ich gehe auf das Zimmer. Bevor ich etwas berühre, trete ich ans Fenster und blicke hinaus. Auf der anderen Straßenseite wird ein Hochhaus entkernt, aus grauen Mauerlöchern quillt Presslufthammerlärm, Lastwagen mit Schutt rangieren vor der Baustelle, gestikulierende Männer mit riesigen Ohrenschützern schreien sich an. Ich nehme meinen Koffer, trete auf den Flur, schließe die Tür und mache mich wieder auf den Weg zur Rezeption.
»Wenn das ein ruhiges Zimmer war«, sage ich, »dann hätte ich gerne ein sehr, sehr ruhiges, geradezu stilles Zimmer, um nicht zu sagen, einen schalltoten Raum.«
Das sei dann aber kein Upgrade mehr, sagt die Dame.
»Von mir aus kann es ein Downgrade sein, wenn nur neben meinem Bett kein Gebäude abgerissen wird«, sage ich und verbringe zwei Tage in einem Verschlag auf der Rückseite des Hotels, aus dem man, wenn man direkt ans Fenster tritt und den Kopf in den Nacken legt, oben rechts ein Stück Himmel sieht. Aber es ist ruhig, so weit in Frankfurt irgendwo irgendetwas ruhig ist.
So etwas passiert mir immer wieder: Ich habe den Verdacht, dass es in Hotels als Vorzug gilt, wenn ein Zimmer möglichst laut ist. Die meisten Leute sind heutzutage sowieso halb taub, weil sie große Teile ihres Lebens in Techno-Clubs verbracht haben, sie schreien schon bei normalen Telefonaten wie Navy Seals-Ausbilder, sind froh, wenn der Straßenlärm ihren Tinnitus übertönt, und außerdem können sie keine Stille mehr ertragen, sie brauchen Krach. Wenn keiner in der Nähe ist, setzen sie sich Kopfhörer auf und hören welchen. Ihnen gilt ein Zimmer gegenüber einer Großbaustelle als ruhig.
Hier, sagt Bruno, mein alter Freund, eine Zeitungsmeldung: In Treuenbrietzen bei Potsdam werden seit zwei Monaten die Mikroben in der Kläranlage mit Mozart beschallt. Ihre Aufgabe sei es, in der zweiten Stufe des Klärprozesses das Abwasser zu reinigen. Es sei festgestellt worden, dass die Bakterien bei Mozartklängen aktiver seien, zügiger arbeiteten und die Menge des Klärschlamms reduzierten.
Man habe ja schon gehört, sagt Bruno, dass Kühe bei Mozart mehr Milch gäben, aber dass jetzt schon der Kuhdung mit der Zauberflöte übergeigt werde – wer solle das noch fassen? »Sie spielen 24 Stunden lang die Zauberflöte dort, und das jeden Tag! Da arbeiten Menschen! Wie ertragen die das? Früher hat’s da nur geblubbert! Es ist doch kein Wunder, dass die Mikroben wie blöd Scheiße fressen, sie wollen einfach weg dort, raus, in einen Fluss, wo es bloß rauscht und ab und zu ein Binnenschiff vorbeibollert!«
Die Welt wird immer lauter. Man kann das am Fußball illustrieren. Zuerst gab es gar keinen Fußball, da war es still. Dann begannen einzelne Menschen sich zu Mannschaften zusammenzufinden, man hörte ihre Rufe. Dann kamen Zuschauer, sie riefen auch. Darauf baute man Stadien, in denen Fan-Choräle ertönten sowie ab und zu eine gasbetriebene Tröte.
Nun haben wir eine Weltmeisterschaft, bei der über dem Spiel die 115 Dezibel Tausender Vuvuzelas liegen, ein maschinenhafter Lärm, der vielen unerträglich erscheint, ihnen aber bald normal vorkommen wird, denn man wird in einigen Jahren die Vuvuzelas mit etwas noch Fürchterlicherem bekrachen. Die Erde wird als heulende, wummernde, hämmernde, trötende Lärmkugel durchs All kreisen, bis es dem guten Mond zu viel wird und er sich aus Protest eines Nachts auf ein Kreuzfahrtschiff stürzt.
Was ich nicht verstehe: Es gibt Brillen einerseits und Hörgeräte andererseits, es gibt Schlafbrillen einerseits und Ohropax andererseits. Warum gibt es einerseits Sonnenbrillen gegen grelles Licht – aber kein Andererseits gegen grellen Lärm?
Illustration: Dirk Schmidt