Seltsam ist ja auch, dass einerseits schon seit einer Weile (also etwa, seit im vergangenen Jahrhundert die Big-Brother-Sache begann) die Berühmtheit das Lebensziel vieler Menschen zu sein scheint; sie sind bereit, sich auf lächerlichste Weise zum Affen zu machen, nur um für einige Lebensminuten vor einer Kamera aufzutreten, und sei es von Riesenschaben bedeckt im Urwaldfernsehen.
Dass aber andererseits nun Anonymität wieder sehr im Schwange ist. Man ist im Internet unterwegs und nennt sich dabei mops07 oder kleinerTiger – ja, es dokumentierte der Spiegel eine politische Diskussion zwischen drei Piraten-Mitgliedern namens crackpille, Anthchirp und Penis. Und im Fernsehen war ein Geschäftsführer der Partei zu sehen, dessen Persönlichkeit so reduziert zu sein schien, dass er kaum eigene Ansichten vorzutragen bereit war; immer wieder richtete sich sein Blick aufs Smartphone, von dem er die getwitterten Meinungen anderer, der vielen, der Menge »draußen« zu erfahren hoffte, die dann aus ihm sprechen sollten.
Jedenfalls finde ich es grundsätzlich gut, dass jemand spätestens bei seiner Wahl zum Bundeskanzler vorher den Personalausweis vorlegen muss. Ich möchte einfach nicht, dass jemand namens knuddelmuddel oder papiervermeider unerkannt zu den großen Gipfeltreffen mit Obama, Hollande und den anderen reist. Da bin ich konservativ.
Wie aber hängen die beiden großen Zeittrends zusammen: Ruhmeswille und Anonymitätssehnsucht, der Wunsch, von allen wahrgenommen zu werden und gleichzeitig Teil der Masse zu sein, im selben Leben bejubeltes Individuum und Sprachrohr von Basisbefehlen? Ich würde sagen: So sind wir nun mal. Herdentiere und Einzelgänger. Wollen immer alles, und das auf einmal. Möchten zum Elfmeterpunkt schreiten – ist der Ball drin, sollen alle »Robben« rufen oder »Schwein-stei-ger!«. Geht er vorbei, möchten wir allenfalls »grashalmspitze7« heißen und nicht mal einen Facebook-Account haben.
Bruno, mein alter Freund, war in Nürnberg und sah dort auf dem Bahnhof einen Kasten namens Miau-O-Mat. Den hatte eine Katzenfutterfirma aufgestellt. Wenn man in ein Mikrofon miaute und dem Apparat das gefiel, spuckte er ein Tütchen Katzenfutter aus. Mochte das Gerät dieses Miau aber nicht, geschah auch nichts. Die Leute machten mit. Einer nach dem anderen maunzte den Kasten an, man musste sich bücken dafür, Menschen katzbuckelten für ein Tütchen Futter, der Menschheit ganzer Katzenjammer fasste Bruno an: Hunde machen Männchen, Menschen machen Kätzchen, so ist das? Ja, so ist das.
Und wenn dies Schule macht? Was für Automaten wird es noch geben? Man gähnt hinein, Tässchen Kaffee kommt? Röhrt wie ein Ferrari – und erhält eine Dose Benzin? Man raucht in eine Öffnung, das neueste Buch Helmut Schmidts fällt heraus? Leise »Röttgen« sagen – schon liegt eine Entlassungs-urkunde im Schacht? Schön auch: ein Apparat, in den man »Finale dahoam« hineinsprechen könnte, und er tilgte diese Wörter vom Erdball, sie würden nie wieder gesprochen oder geschrieben. Unten vor dem Gerät lägen nur geschredderte Wortbrösel im Staub.
Wie wäre es übrigens, man würde Automaten aufstellen, die schlechte Laune schluckten? Also oben flucht man hinein, schimpft auf die Verspätungen bei der Bahn, auf das Wetter, auf die Frauen oder die Männer, die Unfreundlichkeit der Menschen, unten fallen Beruhigungstabletten heraus, ein Bier, Katzenfutter, oder das Gerät sagt tröstende Worte, vielleicht auch nur »Miau«. Ebenfalls würde ich es begrüßen, wenn an den Straßen-ecken Beifallsspender stünden, an denen man eine Jubeldusche nehmen kann. Man drückt auf einen Knopf, sagt seinen Namen – dann ertönt fünf Minuten lang das Geräusch einer begeisterten Menschenmenge, klatschend, den Namen des Davorstehenden skandierend, ihn hysterisch feiernd.
Andersherum wäre es möglich, dass man eine Anonymitätstaste betätigt, seinen Namen sagt, und eine Stimme antwortet: »Ich kenne dich nicht. Niemand kennt dich.«
Illustration: Dirk Schmidt