In Deutschland leben Wölfe, »Deutschland wird wieder Wolfsland«, las ich in der Welt. Aber alles in Maßen! In Niedersachsen zum Beispiel gibt es etwa sieben oder acht Wölfe, wer weiß das schon genau? In der Lausitz hat man sechs Rudel und zwei Paare gezählt, auch in der Ueckermünder Heide zum Beispiel sah man Wölfe oder fand jedenfalls Wolfshaare oder Wolfskot. Der Wolf ist scheu, er meldet sich nicht bei den Behörden, wenn er aus dem Osten zugewandert ist; dabei gibt es dort im Niedersächsischen mittlerweile 42 »Wolfsbeauftragte« oder »Wolfsberater«, pro Wolf also fünf, sechs Mann, die aber sowieso weniger die Wölfe im Umgang mit den Niedersachsen beraten sollen als die Menschen im Umgang mit den Wölfen. Wer von uns weiß schon noch, wie man mit einem Wolf umgeht, wie man sich seiner erwehrt, wenn es hart auf hart kommt – und ob man sich seiner überhaupt erwehren muss.
Vor einigen Wochen wurde ein Soldat auf dem Truppenübungsplatz Munster im erwähnten Niedersachsen von drei Jungwölfen verfolgt. Er kletterte schließlich die Leiter zu einem Aussichtsturm hinauf. Aber selbst bis zur ersten Sprosse kam ihm einer der Wölfe behände nach. Erst als der Soldat nach dem Grauen trat, wich der von ihm und verschwand mit seinen Kumpanen im Wald.
Das sind eben so die Situationen: Begegnet man dem Wolf erst mal im Walde, ist es zu spät, den Wolfsberater anzurufen. Und selbst wenn es ein Wolfs-App auf dem Smartphone gäbe: Es wäre doch absolut nicht situationsgemäß, nervös auf dem Display herumzutippen, während einem bereits heißer Wolfsatem den Nacken wärmt. Also trägt man sich nun behördlicherseits mit dem Gedanken, einen gedruckten Leitfaden für den Umgang mit Wölfen herauszugeben, den rechtzeitig zu lesen Niedersachsenpflicht wäre.
In meinem Regal fand ich zu dem Thema das vorbildliche Hefterl Mensch & Bär – Ein Leitfaden für ein faires Zusammenleben, 1995 herausgegeben von der niederösterreichischen Landesregierung. Darin werden Situationen beschrieben, in denen Menschen mit Bären zusammentreffen könnten, zum Beispiel: »Sie stehen plötzlich einem Bären auf wenige Meter gegenüber.« Ja, und? »Bleiben Sie ruhig stehen und machen Sie auf sich aufmerksam, indem Sie reden. Der Bär wird in aller Regel die Flucht ergreifen.«
In aller Regel? »Hallo, Bär, wir müssen reden, ich meine, ich muss reden. Können wir das hier in Ruhe besprechen? Können wir uns darauf einigen, dass wir – also, keine Gewalt, Bär, bitte… Keine Gewalt!« Im Weiteren bleibt einem nur zu hoffen, dass auch der Bär den Leitfaden gelesen hat, dass er von Herzen an einem fairen Zusammenleben interessiert ist und nicht zu diesen Bären gehört, die jedes Scheißmenschengequatsche und das ganze blöde Zweibeinergelaber einfach so ankotzt, dass sie einen am liebsten gleich mit ’nem hübschen Nackenbiss erledigen.
Wie redet man bloß mit Bären, wenn man im Alltag allenfalls mit fetten Möpsen oder Stubenfliegen zu tun hat?
»Hallo, Bärli, kannst du dich nicht mehr an die Zeiten erinnern, als du klein warst und wir im Bettchen vor dem Einschlafen kuschelten? Als du mein Teddyknuddel warst!?«
»Eh, Bär, was guckstu? Bin isch Kino? Bin isch so Honigwabe? Eh, pass auf, gehstu sofort wieder in Wald, sonst hol isch meine Brüda, wir machen disch Bruno.«
Das Beste wird sein, man meidet fürs Erste Niedersachsen, auch die Lausitz. In der Münchner Innenstadt ist die Wolfsdichte noch gering, da sind wir sicher. Wir sind diesen Tieren zu entfremdet. Begegnete man vor 200 Jahren einem Wolf im Wald, war die Sache klar, das wurde ausgetragen, fertig. Heute? Ach, heute. Heute kommt aus den USA die Nachricht, sommerliche Dürre habe die Getreidepreise derart in die Höhe getrieben, dass die Farmer nach alternativen Ernährungsmöglichkeiten für ihr Vieh suchen – und auch fündig geworden sind: Man gibt den Tieren Kekse, Gummischlangen, Marshmallows, Fruchtbonbons, alles Süßigkeiten, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Soll man das jetzt gut finden, weil die Sachen sonst weggeworfen würden? Und könnte man nicht Niedersachsens Wölfe auf Ernährung mit Schoko-Schafen umstellen?
Illustration: Dirk Schmidt