Das Beste aus meinem Leben

Das war im vergangenen Sommer, in Italien am Strand. Da war ein Café, ich saß unter Schilfmatten im Schatten, neben mir schlief Sophie im Kinderwagen und ich las Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums, bitte, eine Marotte von mir, in jedem Sommerurlaub lese ich einen Teil davon neu, entweder die Argonautensage oder Odysseus’ Fahrten und so weiter. Diesmal war ich bei Herakles und seinen Aufgaben, saß also da und las, wie Herakles den Riesen Geryones aufsuchte, einen Burschen mit drei Leibern, drei Köpfen sowie sechs Armen und Beinen. Dieser Geryones besaß in Südspanien eine Herde braunroter Rinder, welche Herakles dem Argiverkönig Eurystheus bringen sollte, womit der dreileibige Geryones natürlich nicht einverstanden war. Herakles machte sich auf den Weg, tötete in Libyen den Riesen Antäos, gründete in Nordafrika en passant eine hunderttorige Stadt und rammte bei Gibraltar zwei Säulen in die Erde, die Heraklessäulen, das Ende der Welt markierend.Ungefähr da war ich, als Bernd neben mich trat. Bernd kenne ich seit Jahren, er war Müllwagenfahrer in Mülheim/Ruhr, dann lernte er eine Deutsche kennen, der hier einige Ferienhäuser gehören. Seit ein paar Jahren ist Bernd Frührentner und Hausmeister für seine Freundin.Das lässt ihm Zeit, viel fernzusehen, sich Gedanken zu machen über den Zustand der Welt, und anderen zu erzählen, was er im Fernsehen gesehen hat und was er dazu denkt.Bernd hatte sich von mir eine Badehose geliehen, er war ohne Badehose an den Strand gekommen, dann hatte er plötzlich Lust auf ein Bad bekommen und ich hatte ihm eine Hose geborgt, obwohl ich ihm lieber keine Hose geborgt hätte. Ich tue manchmal Dinge, die ich nicht will, nur weil ich denke, die Leute erwarten was von mir. Jetzt legte er sie wieder vor mich hin, klatschnass.»Habbich mit Süßwasser durchgespült, keine Sorge.«Gerade war New Orleans vom Hurrikan zerstört worden. Bernd setzte sich neben mich, zündete eine Zigarette an und sagte: »Die Stadt liecht zwei, drei Meter untam Meeresspiegel, dat muss man sich mal reinziehn. Und der Meeresspiegel steicht ja. Wie kann man da ne Stadt bauen? Ich mein, dat is doch Schwachsinn! Da hättich nie im Leben ne Stadt gebaut!«»Die Stadt ist da ja schon ne Weile, Bernd«, sagte ichEr trug ein dünnes weißes Hemd, die obersten vier Knöpfe offen, und eine weiße Hose. Sein Haar war auch weiß, nur seine Haut war tiefbraun und die Kette auf seiner Brust schimmerte golden. Es war vier Uhr und Bernd hatte nicht nur Süßwasser getrunken.»Ja, abba getz kriegen se die Stadt nich richtich evakuiert, die ganze Stadt, sogar der Castro hat denen schon Katastrophenhilfe angeboten, dat muss man sich mal reinziehn, Castro. Die Deutschen würden das besser machen, dat steht für mich fest.«»Die Deutschen machen alles immer besser«, sagte ich.»Ja«, sagte er einfach und dann: »Und die Amerikaner sind selbst schuld, hätten sie diesen Kyoto-Vertrag unterzeichnet, wär dat nich passiert.«»Bisschen herzlos, Bernd, was?«, sagte ich. »Da säuft die Stadt ab, und alles, was du sagst: sind selbst schuld.«»Stimmt aba«, sagte er.Ich guckte in mein Buch. Bernd sagte etwas über die steigenden Meeresspiegel und ich las, wie Herakles dem Riesen einen Pfeil in den Magen schoss, und dann sagte Bernd plötzlich: »Und wenn es Gibraltar nich gäbe, würde das Mittelmeer auslaufen, es wäre leer.«Ich blickte überrascht auf. »Wieso das denn?«»Keine Zuflüsse.«»Aber der Nil, der Po, die Rhone…«»Reicht allet nich.«Er war mir auf den Wecker gegangen mit seinem naseweisen Gerede. Aber der überraschende Gedanke, das Mittelmeer könnte auslaufen wie eine Badewanne, gefiel mir. Zweifellos eine Arbeit für Herakles, das zu verhindern, und übrigens konnte es kein Zufall sein, dass Bernd ausgerechnet in dem Moment, in dem ich von Herakles und den Säulen bei Gibraltar gelesen…»Aber es hat doch immer gereicht«, sagte ich, aber in dem Moment wachte Sophie auf und schrie so laut, dass ich mich um sie kümmern musste. Als ich mich gekümmert hatte, war Bernd gegangen, und weil wir am nächsten Tag heimfuhren, sah ich ihn nicht wieder und werde also erst im kommenden Jahr erfahren, warum das Mittelmeer auslaufen würde, wenn es Gibraltar nicht gäbe. Falls es Gibraltar dann noch gibt und das Mittelmeer, man weiß ja nie, heutzutage.