Das Beste aus meinem Leben

Nun ein paar Worte zum Thema »Ein Autor lernt von seinen Leserinnen«. Ich hatte nämlich das Partizip gewunken verwendet beziehungsweise verwandt. »Jeder von uns würde, wenn ihn der Kellner im Café wieder nicht beachtet, obwohl man ihm schon dreimal mit Gesten aller Art gewunken hat...«, so hatte ich geschrieben. Dazu teilte mir Frau W. aus Berlin mit, ich hätte dieses gewunken »offenbar unbedacht« gebraucht, es klinge »hässlich« und passe »wenig« in »Ihre sonst sprachlich so genauen und mit Genuss zu lesenden Texte«. Wie wahr! Ich hatte tatsächlich geglaubt, das Partizip von winken laute gewunken, dabei heißt es doch gewinkt, schreiben jedenfalls Frau W. und der Duden, dieser sogar mit der ausdrücklichen Anmerkung »nicht korrekt: gewunken«.Nun ja, nicht korrekt. Aber hässlich? Das ist eine Geschmacksfrage, und ich persönlich finde »gewunken« um einiges schöner als »gewinkt«, das (nichts für ungut, Frau W.!) ein bisschen kindisch klingt, so wie wenn ein Knabe, der mit dem Sprechen gerade erst begonnen hat, sagt, er habe etwas »geschreibt«.Die Sache hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Schon in Nestroys Posse Einen Jux will er sich machen geht es ja dem Handlungsgehilfen Weinberl nicht anders als mir, er sagt: »Wie oft hab’ gelesen in die Bücher: ›Er befand sich, ohne zu wissen wie, in einem engen, abgelegenen Gässchen, plötzlich gewahrt er an der Ecke einen Mann in einem Mantel, ihm war’s, als ob er ihm gewunken – an der andern Ecke sieht er auch einen Mann, ihm deucht’, als hätt’ er ihm gewinkt, unentschlossen steht er da, er weiß nicht, soll er dem folgen, der ihm gewinkt, oder dem, der ihm gewunken – da öffnen sich plötzlich die Fenster –‹«Ja, nun, ich vertiefte mich aus diesem Anlass in die Geschichte des Verbums »winken« und lernte erst einmal etwas über das ewige Ringen zwischen starken und schwachen Verben, das mir – wie den meisten am Grammatischen nicht übermäßig interessierten Menschen – nicht mehr so präsent war, wie es sein sollte.Also, bitte: Starke (oder unregelmäßige) Verben sind »trinken, trank, getrunken« oder »sinken, sank, gesunken«. Schwach (oder regelmäßig) nennen wir die Tuwörter »blinken, blinkte, geblinkt« oder »hinken, hinkte, gehinkt«.Aber im Laufe der Geschichte wandeln sich immer mehr starke in schwache Verben, die schwachen verdrängen die starken, eigentlich sind am Ende die schwachen die stärkeren Verben, ein verkehrter Darwinismus. Warum? Weil Sprachen eine Tendenz zur Vereinfachung haben, und es ist nun mal einfacher »schminken, schminkte, geschminkt« zu konjugieren als »schminken, schmank, geschmunken«.Was aber nun unser liebes »winken« angeht, so war es – meinem Grimmschen Wörterbuch zufolge – anfangs sogar ein schwaches Verb, das aber die Menschen bereits im Mittelhochdeutschen und auch später immer wieder versuchten, stark zu konjugieren, vor allem in der Umgangssprache und den Dialekten, auch im Imperfekt natürlich. »Da wank er den dienern«, heißt es in einer Quelle noch im 19. Jahrhundert, und zweihundert Jahre vorher schrieb einer: »Als er denn wangk, sie soltten zu ime reitten.« Bei Luther heißt es über den Papst: »Wenn er nur mit einem finger gewinckt hat, so haben sich für ihm keiser, könig, fürsten etc. müssen förchten, demütigen und bucken.« Ludwig Uhland aber schrieb viel später noch von den »lichtgestalten, die uns gewunken«.So ging das im Laufe der Jahrhunderte immer hin und her mit dem »winken«, mal zogen sie hier, mal zogen sie da, bis »gewunken« schließlich doch wieder ins Umgangssprachliche herabsank – so schreibt man nicht, so redet man bloß.Freilich ist ja noch die Frage, ob unsereiner sich irgendwas verbieten lässt, und sei es vom Duden. Und ob wir einfach so mit ansehen wollen, wie die langweiligen, immergleichen Schwachverben unsere schönen starkdeutschen Formen fressen. Wenn man sich mit der Sache ein wenig befasst hat, möchte man am liebsten sogleich eine Gesellschaft zur Stärkung der Verben gründen, muss aber dann entdecken, dass es eine solche längst gibt, im Internet zu finden unter www.soviseau.de/verben. Hier kämpfen verständige Menschen gegen die Versimpelung so schöner schwacher Wörter wie bersten (barst!, geborsten!) oder glimmen (glomm!, geglommen!). Sie treten für das Unregelmäßige und gegen die Regelmäßigkeit ein. Sie sind auch dafür, dass man längst geschwächte Verben stärkt, dass man sich also für »blühen« ebenso neue Vergangenheitsformen ausdenkt (bloh, geblohen) wie für »decken« (dak, gedocken) und »knipsen« (knops, geknopsen). Sie verdienen unsere Unterstützung – kumme, was da wulle. So viel für heute. Ein fröhliches Wunke-Wunke allen Leserinnen, besonders natürlich Frau W.!