»Papa, warum lernt man eigentlich erst sprechen, wenn man schon geboren ist?«, fragt der Luis.»Das wäre ja seltsam sonst«, sage ich. »Dann kann man zum Beispiel Deutsch und kommt in England zur Welt und kann mit seinem ganzen schönen Deutsch nichts anfangen. Das wäre Unsinn, oder?«»Hmmmm…«, macht der Luis.»Also kommt man erst mal zur Welt, hört, welche Sprache die Leute um einen herum sprechen, und lernt das dann auch. Es ist vernünftiger so, findest du nicht?«»Ja.«»Und stell dir mal vor, die Babys könnten schon sprechen, bevor sie auf die Welt kommen! Sie würden aus dem Mutterbauch he-rausplärren: ›Macht mal ’ne andere Musik da im Auto! Was ist denn das für ein Geschaukel heute wieder, Mama! Wer ist denn der Bub da draußen, der immer zu McDonald’s will?‹ Das wäre auch eigenartig, was?«»Hihi«, macht der Luis und mir fällt seine eigene sprachliche Entwicklung ein, in der neuerdings Wörter vorkommen, die ich gar nicht als eigenständige Wörter kenne, die Wörter »sau« und »enz« zum Beispiel, die mir bisher nur als Silben oder Buchstabenfolgen innerhalb von Wörtern ein Begriff waren: saufen, saugeil, Enzephalogramm... Der Luis aber sagt: »Das ist so sau das schnelle Auto.«Oder: »Das ist so enz die tolle Musik.«Man weiß gar nicht, wie man solche Wörter bezeichnen soll, sie entziehen sich jeder grammatikalischen Einordnung, aber in jedem Fall sind sie positiv gemeint. Der Luis benutzt sie nur, wenn er etwas gut findet, und irgendwie könnten eigentlich alle Buchstaben große Hoffnung aus dieser Sache ziehen, dass sie eines Tages aus einer dunklen Ecke der Bedeutungslosigkeit herausgeholt werden und plötzlich etwas zu sagen haben.Vielleicht sagen unsere Enkel eines Tages: »Meine Mama hat sich atikali den neuen Raumkreuzer von DaimlerChrysler gekauft.« Oder: »Gestern habe ich mich etzu für ein paar Stunden nach Brasilien an den Strand gebeamt.«Was das bedeutet, werden wir dann ja sehen, falls wir es noch erleben.Übrigens fällt mir dabei ein, dass neuerdings in unserem Haushalt ein paar sehr seltsame Buchstabenfolgen eine große Rolle spielen. Das liegt daran, dass Luis von Paola eine CD geschenkt bekommen hat, auf der allerhand aktuelle Hits zu hören sind, unter anderem das Lied Dragostea Din Tei der rumänischen Band O-Zone, eine sehr schmissige Angelegenheit, die der Luis so liebt, dass er sie Mal um Mal in seinem Zimmer sehr laut anhört, ja dass er sogar, wenn er zur Toilette geht, den CD-Player nimmt und ihn im Bad anschließt, um sich dort von O-Zone beschallen zu lassen.Das ist übrigens nichts Ungewöhnliches bei uns, der letzte Lieblingshit von Luis war Ich Lass Sie Sterben von Xavier Naidoo. Immer und überall hörten wir das, auch bei schöns-tem Wetter und eigentlich großem Lebensgenuss:»Sie ist längst verlorenSie ist fast schon totSie ist übergossen mit leicht entflammbaren Mitteln und wartet auf den TodesstoßSie kriegt keine LuftSie atmet schwer…«Und so weiter. Der Sound ist ziemlich gut, wir rappten alle mit, aber jetzt ist es ganz anders, jetzt erklingt aus immer neuen Ecken der Wohnung:»Ma-ia-hii, ma-ia-huu, ma-ia-hoo, ma-ia-haa. Vrei sa pleci dar nu ma, nu ma iei. Nu ma, nu ma iei, nu ma, nu ma, nu ma iei…«Weiß der Himmel, was es bedeutet, O-Zone singt es den ganzen Tag, auch der Luis singt es mit, so gut er kann, er heult etwas vollkommen Unbekanntes durch unsere Räume, es macht ihm irgendwie gute Laune, bis er es bald satt haben wird, aber bis dahin macht es ihm sau die gute Laune, aber nu ma Schluss für heute, nu ma enz Ende mit diesem Text, nu ma iei, ma-ia-hii, oho, ähem…