Tatsächlich gibt es Menschen, die Süßigkeiten nicht mögen, unverständlich für mich, denn ich könnte mich ausschließlich von Süßigkeiten ernähren, würde zum Frühstück drei gefüllte Croissants verzehren, dann zu Mittag einen Kaiserschmarrn, am Nachmittag zwei Herren- und eine Schwarzwälder Kirschtorte, dann am Abend einen Teller Palatschinken und zur Nachspeise eine Schokoladenmousse.Das geht natürlich nicht. Das ist nicht erlaubt. Da wäre ich längst tot, und außerdem hätte ich Karies.Aber die Tante Friederike mag zum Beispiel keine Süßigkeiten. Man kann einen Teller feinster Pralinés vor sie hinstellen, sie sagt nur: »Ach, lass nur, mein Schatz.« Und bietet man ihr zum Kaffee ein Stück Zwetschgendatschi an, von der Art, dass unsereiner schon um ein weiteres bitten würde, während er das erste noch gar nicht angerührt hätte, flüstert sie: »Danke, wie lieb, aber ich lasse es beim Kaffee.« Und in den Kaffee tut sie keinen Zucker.Nun ist die Tante Friederike aber Luis’ Lieblingstante. Neulich war sie zu Besuch, zwei Tage lang, und gleich am ersten trat Luis, dem eine Abneigung gegen Süßes so fremd ist wie einem Nilpferd die Aversion gegen Wasser, im Wohnzimmer vor die Tante hin und bot ihr von der Schokolade aus seinen Vorräten an. Tante Friederike sagte: »Danke, Luis, sehr aufmerksam von dir, aber ich mag doch keine Süßigkeiten. Mit Süßem kannst du mich jagen! Wenn du zum Beispiel eine saure Gurke hättest … So was mag ich.«Aber der Luis hatte keine saure Gurke, und außerdem musste er Fußball spielen gehen.Nach zwei Stunden kam er wieder zurück. Verschwitzt das Trikot, grün die Beine, am Arm braune Erdstreifen – so kam er auf den Balkon, wo wir mit der Lieblingstante saßen. Die rechte Hand war zur Faust geballt, eine schwitzige, schmutzige Luis-Faust, die sich genau vor Tante Friederikes Gesicht öffnete und eine saure Gurke zur Ansicht frei gab.Niemand von uns wusste, woher er die Gurke hatte. Aber Tante Friederike wusste (man las es einfach in ihrem Gesicht): Diese Gurke musste sie nun essen. Und zwar sofort. Und zwar mit Behagen.Das tat sie auch. Sofort. Mit Behagen. Sie weiß einfach, was eine Lieblingstante zu tun hat in Situationen, in denen es darauf ankommt.Ich persönlich bleibe bei meiner Vorliebe für Torten und Ähnliches.
Illustration: Dirk Schmidt