Das Beste aus meinem Leben

Immer wieder hört man von Menschen, deren Leben zerstört wird, weil sie eines Tages den Beschluss fassen, ihre Telefonfirma zu wechseln. Sie lesen in der Zeitung, hören im Radio oder sehen im Fernsehen vom Angebot einer anderen Telefonfirma als der ihren, nehmen es an – und Tage später ist ihr Dasein ein anderes: Sie finden sich unter ihren Schreibtischen liegend wieder, hilflos Kabel hin und her zerrend, Stecker in Buchsen stöpselnd, schließlich – nach ihrer Mutter rufend – an elektronischen Bauteilen lutschend, Hilferufe in die Brauseköpfe ihrer Duschen hineinbrüllend, am Ende sabbernd durch die Straßen irrend und leise die Worte »Alle Serviceberater sind im Gespräch« vor sich hin murmelnd.Manchmal, wenn man solche Menschen sieht, erinnert man sich an die Zeiten, als wir unter der Knute der Bundespost lebten, oh strenge Mutter Bundespost!, wie oft haben wir auf dich geschimpft, Herrin unserer Außenverbindungen, grausam warst du zu uns, verfluchte Monopolistin… …aber wenigstens konnte man damals nicht den Telefonanbieter wechseln!Meine alte Freundin M. fasste vor Monaten den verheerenden Entschluss. Leider wusste sie nicht, dass sie, um weiter telefonieren zu können, einige nicht unerhebliche technische Arbeiten an ihrem Festnetzanschluss selbst zu verrichten hatte. Arbeiten, bei denen ihr niemand half! Zu denen sie sich keinen telefonischen Rat einholen konnte, denn unter der Telefonnummer des Telefonanbieters meldete sich – niemand. Nur ein Apparat. Kein Mensch.M. wurde gerettet von einem Freund, der beim Spazierengehen in einer Gegend, in der man eigentlich nicht spazieren geht, ein Schild dieser Firma entdeckt hatte, nun dort hinfuhr und einem Mitarbeiter erklärte, er werde nicht weichen, bis jemand den Anschluss von M. in Ordnung gebracht habe.Das wirklich Erstaunliche an Telefonfirmen ist, dass sie telefonisch selbst nicht zu erreichen sind. Mir fiel neulich auf, dass ich seit Monaten keine Telefonrechnung mehr bekommen hatte. Zwar war der Rechnungsbetrag von meinem Konto abgebucht worden, das natürlich, aber die Rechnung selbst – nichts. Ich betrachtete sinnierend die letzte Telefonrechnung, die gekommen war. Da stand die Nummer eines »Kundencenters«. Dort rief ich an. Musik, 15 Minuten lang. Dann das Besetzt-Zeichen. Ich probierte es noch einmal. Musik, besetzt. Wieder. Musik, besetzt. Das machte ich zehnmal. Immer das Gleiche, Musik, besetzt.Ich betrachtete wieder die Rechnung. Da stand eine Adresse. Also schrieb ich einen Brief.Keine Antwort, bis heute nicht. Ich fand mich damit ab, dass ich nie mehr eine Telefonrechnung bekommen würde. Ich zweifelte, ob es die Telefonfirma überhaupt gebe. Ich grübelte, ob Telefonfirmen auf einer uns unzugänglichen Bewusstseinsebene existieren. So wie zum Beispiel eine Wegschnecke keinen geistigen Zugang zum Besitzer des Gartens hat, in dem sie lebt, können wir nicht mit Telefonfirmen Kontakt aufnehmen. Es ist uns nicht gegeben. Sie sind höhere Wesen von unbekannter Struktur, mächtige Gebilde im Vorzimmer Gottes. Wie der Gartenbesitzer die Wegschnecke aufheben und vernichten kann, so kann die Telefonfirma uns in entsetzlichste Verstrickungen werfen, wenn es ihr gefällt. Sie kann uns von allen Außenverbindungen abschneiden. Oder uns keine Rechnungen mehr schicken.Eines Tages durchstreifte ich die Münchner Innenstadt und stand vor einem Laden der Telefonfirma. Ich trat ein und erklärte einer Dame, dass ich keine Telefonrechnung mehr bekäme – warum? Sie begann an ihrem Computer zu arbeiten, ein Drucker startete, plötzlich hielt ich alle Telefonrechnungen der vergangenen Monate in der Hand. Man konnte diese Rechnungen nur noch im Internet abrufen, seit wir vor Monaten den Telefontarif gewechselt hatten; das war die Erklärung.»Aber warum sagt einem das niemand?«, rief ich in einem Akt der Auflehnung. »Warum ist niemand telefonisch erreichbar? Warum antwortet man nicht auf Briefe? Warum muss ich erst zu Ihnen kommen?«Die Dame sagte nur ein einziges Wort: Umstrukturierung. Seit Monaten werde die Firma umstrukturiert. Mehr nicht. Das war alles.Das ist der Beweis. Keine Firma der Welt kann sich erlauben, auf jeden Kontakt zum Kunden zu verzichten, nur weil sie sich gerade umstrukturiert. Das können nur Telefonfirmen, die Herrinnen unseres Schneckenlebens.

Illustration: Dirk Schmidt