Das Beste aus meinem Leben

Herr S. aus Überacker schrieb mir, er habe kürzlich die Homepage eines großen Buchversandhändlers aufgerufen und sei dort folgendermaßen begrüßt worden:»Willkommen, ! Hier sind Ihre persönlichen Empfehlungen. (Wenn Sie nicht sind, klicken Sie bitte hier.)«So etwas kann einen ins Grübeln stürzen. Da ist dieses Komma nach dem »Willkommen« (ein Willkomma sozusagen) und der kleine Zwischenraum vor dem Ausrufezeichen, der einem das Gefühl gibt, der Buchversandhändlercomputer hätte einen gern mit Namen begrüßt, dann sei ihm aber der Name nicht eingefallen – irgendwie tröstlich, nicht wahr?: dass auch ein Buchversandhändlercomputergedächtnis nicht perfekt ist und dass er dieser Unperfektion sogar Ausdruck gibt durch ein Komma und einen Zwischenraum.Übrigens erinnert mich dieses Komma an ein anderes Komma, ein fehlendes. Herr B. aus Sonthofen schickte Post, in der er von einem Erlebnis im Supermarkt berichtete. B. füllte dort große Mengen von Pfandflaschen in den Pfandautomaten, bis dieser, wie oft, blockierte und die Arbeit einstellte. Anschließend hörte B. plötzlich aus dem Lautsprecher die Durchsage: »Frau W. hat sich erledigt, Frau W. hat sich erledigt, vielen Dank!«Auch hier: Grübeln. Wer war Frau W.? Warum hat sie sich erledigt? Wegen des ewig kaputten Pfandautomaten? Warum bedankte sich die Lautsprecherstimme dafür, dass Frau W. sich selbst erledigt hatte? Wo überhaupt? Im Pfandautomaten? Hatte der Pfandautomat am Ende blockiert, weil Frau W. … Ächz!Die Lösung lag im fehlenden Komma. Der Ansager hätte es quasi mitsprechen oder durch einen kleinen Zwischenraum ersetzen müssen: »Frau W., hat sich erledigt, vielen Dank.« Dann wäre klar gewesen, dass die Ansage sich an Frau W. richtete: Danke, Frau W., Sie müssen wegen des vorhin besprochenen Problems nicht mehr kommen, es hat sich erledigt: das Problem.Zurück zum Buchversandhändler. Auch hier lauert in einem winzigen Satz das Grauen: »Wenn Sie nicht sind, klicken Sie bitte hier.«Man fragt sich: Warum sollte ich nicht sein? Ich sitze hier! Und wenn ich nicht wäre, wie könnte ich klicken? Was geschähe, wenn ich nicht nicht wäre, aber dennoch klickte? S. tat’s, er klickte, hier – worauf ihn der Buchversandhändler zur Anmeldung aufforderte – vollends absurd, denn was sollte ein Nicht bestellen? Joachim Fests unter dem Titel Ich nicht erschienene Erinnerungen?Kürzlich las ich ein Interview mit dem Physiker Günther Hasinger, der sich mit Fragen der Welt-Entstehung beschäftigt. Hasinger sagte: »Wir müssen uns von der Vorstellung frei machen, das Nichts sei leer. Im Gegenteil: Das, was wir als Nichts bezeichnen, ist der höchste Energiezustand des Universums. Es ist an manchen Stellen bis zum Zerreißen mit Spannung erfüllt, ähnlich wie die Schoten der Rühr-mich-nicht-an-Pflanze. Die kleinste Störung, der Hauch einer Berührung führt dazu, dass die Schoten platzen und die Samen herausschleudern. Im übertragenen Sinne kann man sich den Urknall durchaus wie ein solches Aufplatzen vorstellen.«Großartig, dachte ich, und stellte mir das Nichts als etwas äußerst Cholerisches vor, das eine Ewigkeit lang vor sich hin brummelt, um plötzlich in gigantischem Zorn zu explodieren. Der Urknall – ein Wutanfall Gottes?Nennt nicht Paola mich oft einen Choleriker? Bin ich also ein Nichts? Bin ich nicht?Übrigens stimmt das mit der Rühr-mich-nicht-an-Pflanze nicht. Denn die Rühr-mich-nicht-an-Pflanze ist die Mimose, deren Fiederblättchen bei Berührung nicht explodieren, sondern sich im Gegenteil zusammenrollen, sodass das Nichts quasi zum Garnichts würde. Was hingegen bei Berührung, ja, dem leisesten Anklicken sofort in die Luft geht, sind die Schoten des Drüsigen Springkrauts, das seit Jahren, rosa blühend, alle deutschen Ufer und Waldränder zuwuchert, ein drüsig-bedrohliches Nichts, dessen Samen übrigens leicht nussig schmecken sollen und die ich mir irgendwie kommaförmig vorstelle.Worum ging es noch mal in diesem Text? Ach, nichts. Hat sich erledigt.

Illustration: Dirk Schmidt