Ich fand es erstaunlich, dass, nachdem ein Hund namens Chico zwei Menschen getötet hatte, eine Petition mit dem Titel Wir sind Chico mehrere Tausend Unterstützer fand. Wir sind das Volk, nous sommes Charlie, wir sind Papst, wir sind nicht Burka, das sind alles Slogans, deren Sinn einem irgendwie eingeht. Aber: Wir sind Chico? Soll heißen: Jeder von uns Tausenden ist ein Staffordshire-Terrier-Mischling, der zwei Menschen . . ?
Was ist denn da los?
Ich las dann auf Facebook, was eine Unterstützerin geschrieben hatte, nachdem Chico eingeschläfert worden war: »Als erstes möchte ich hier meine Trauer bekunden über dein Tod mein Lieber Unschuldiger für immer in meinem Herzen bleibender Chico … Die hinterhältigen Henker, haben auf die Wünsche und das Empfinden Hunderttausender Menschen gespuckt und ein Mord begangen für das ihr auf ewig in der Hölle schmoren sollt.« (Übrigens stört mich die miserable Orthografie hier wenig. Es schreibt ein einfacher Mensch, und bevor nicht der letzte Nazi im Internet anständig Deutsch zu schreiben gelernt hat, fände ich es ziemlich überheblich, sich lustig zu machen.)
Chicosein könnte also bedeuten: Ich bin unschuldig, ich würde von mir aus nie Schlimmes tun. Böse sind immer nur die anderen, die mich und meine Wünsche nicht richtig beachtet haben und mich dann auch noch umbringen, obwohl so viele andere mit mir gefühlt und mich, Chicolein, verstanden haben.
Es klingt, sagen wir’s ehrlich, Selbstmitleid an.
Ich habe dann dies und jenes über Staffordshire Bullterrier gelesen, zum Beispiel in Hans Räbers zweibändigem Standardwerk Enzyklopädie der Rassehunde, und dabei gelernt, dass man vor zweihundert Jahren begann, diese Hunde zu züchten, englische Bergmänner waren da führend. Sie benutzten die Tiere für brutale Hundekämpfe. Andererseits lebten die Bullterrier in den äußerst beengten Arbeiterhaushalten, und Räber schreibt: »Wäre jeder Hund ein derartig blutrünstiger Killer gewesen … dann hätte er in diesen Wohnungen der kinderreichen Familien kaum Platz gehabt, und er hätte nie die heutige Verbreitung in England gefunden.« (Wo er eine der häufigsten Hunderassen ist.) Die Hunde durften nur aggressiv gegen andere Hunde sein. Attackierten sie Menschen, wurden sie getötet.
Ich las auch, dass gut erzogene Bullterrier zu ausgesprochen festen sozialen Bindungen in der Lage und oft geradezu langmütig und duldsam seien, im Gegensatz zu den stets reizbaren Dackeln, die amerikanische Hundebesitzer bei einer Umfrage als aggressivste Rasse überhaupt nannten. Das Problem sei nur, dass ein Dackelbiss eben in der Regel nicht solche Folgen habe wie der eines Bullterriers. Und dass man sich als Typ, der Probleme mit seiner Männlichkeit hat, eher nicht mit einem Dackel an der Seite zeigen möchte.
Auf magazin.mydog365.de ist zu lesen: »Dein Hund mag es nicht, wenn du ihn ausschimpfst, aber er hält deine Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit für das beste Geschenk der Welt.« Über den Staffordshire Bullterrier stand dort, er brauche viel Auslauf und Aufmerksamkeit, aber die Pflege gestalte sich einfach: »Wöchentliches Bürsten und eine regelmäßige Kontrolle von Pfoten und Ohren genügt.«
Bedenkt man all das: Was wollen uns Menschen mit dem Slogan Wir sind Chico sagen? Ganz offensichtlich, dass sie sich mit einem Tier identifizieren, das stark und mutig ist und über scharfe Waffen verfügt, sich aber andererseits nach einer Gemeinschaft und ein bisschen Nähe sehnt. Wir sind Chico heißt: Wir sind eigentlich total in Ordnung, aber ihr solltet nicht den Fehler machen, uns zu vernachlässigen und uns für blöd zu halten. Wir können, wie ihr seht, auch anders.
Wenn man will, kann man das für eine Botschaft halten, den Umgang von Menschen miteinander betreffend.
Wenn man nicht will, geht es einfach nur um Hunde.