Kürzlich stieß ich im Internet auf Bilder aus einem offensichtlich rückständigen Land. Man sah Häuser, deren Fassaden ganz fleckig waren – das lag daran, dass man diese oft älteren Gebäude nicht so renovierte, dass sie gegen Regen geschützt gewesen wären. Auf anderen Bildern sah man sogar Pfützen in den Räumen, Putz bröckelte, Schimmel wucherte. Holzverkleidungen lösten sich, dahinter krabbelten Tiere. Man hatte Plastiktonnen aufgestellt, um das Wasser aufzufangen. Manches Gemäuer war so porös, dass innen Knöterich die Wände emporwuchs, der sich von außen hereingearbeitet hatte.
In manchen der Häuser lösten sich Platten von den Decken, Holzwolle und Staub rieselten nach, seltsame weiße Stalaktiten wuchsen aus dem Beton. Bisweilen befestigte man notdürftig Plastikplanen mit Klebeband als Rieselschutz über den Köpfen, das blieb lange Zeit so. In anderen Räumen stützten seit Jahren baumstammdicke Balken provisorisch die Decken. Türen und Fenster waren schwer zu bewegen, sie hatten sich verzogen. Irgendwo hatte man Ratten beobachtet, die im Keller umherhuschten. Zwar waren die Häuser, große Häuser übrigens, heizbar, oft ließen sich die Heizkörper aber nicht regulieren, sodass auch im Winter die Fenster offen blieben. Im Sommer hingegen musste man weit entfernt von den Fenstern sitzen. Einen Sonnenschutz gab es nicht, und die Hitze dort war sonst unerträglich. Manchmal, so las ich in den Texten, die mit den Bildern in Verbindung standen, mussten die Häuser komplett geschlossen werden. Gelegentlich sperrte man nur einzelne Räume über Jahre zu, es war zu gefährlich, sich in ihnen aufzuhalten. Auch die Plätze und Höfe davor waren kaum benutzbar, Wurzeln durchwucherten ihren Boden, das Wasser stand in riesigen Lachen herum.
Am befremdlichsten aber war, dass die Toiletten oft in einem so unbeschreiblichen Zustand waren, dass ich auf Beschreibungen verzichten möchte. Obwohl sich viele Menschen den halben, ja, sogar den ganzen Tag in den Häusern aufhalten mussten, benutzten sie, wenn es ihnen irgend möglich war, diese Klos nie; lieber tranken sie nichts und aßen wenig. Die für dieses Land zuständige Abteilung der World Toilet Organization, die sich vorwiegend mit der Verbesserung der hygienischen Situation in Entwicklungsländern beschäftigt, war an einigen Orten tätig geworden.
Noch mehr schockierte mich, dass allen Gebäuden etwas gemeinsam war: Es handelte sich um Schulen. Das war um so verwunderlicher, als ich, während ich mich in das Studium dieses Phänomens vertiefte, in ungezählten Artikeln, Reden und Fernsehbeiträgen las, sah und hörte, dass die Zukunft dieses Landes genau von eben diesen Schulen abhänge, und dass es nichts, aber auch gar nichts gebe, das für dieses Land so wichtig sei wie Bildung. Ja, Bildung und Wissen seien die einzigen hier vorhandenen Rohstoffe. Auch stellte ich fest: Es gab große, leidenschaftlich geführte Debatten über Schulformen und Schulreformen, über Ganztagsschulen, Hortplätze für Kinder und die Frage, wie gesund ihr Mittagessen sein solle. Und es raubte mir den Atem, als ich merkte, dass es gar nicht um eines der ärmsten Ländern des Globus ging, sondern im Gegenteil um eines der reichsten, dessen Bewohner die ganze Welt bereisten, um dort Ferien zu machen, die größten Autos der Welt bauten und auch sonst für ihre technische Findigkeit und ihre organisatorischen Fähigkeiten überall auf der Welt berühmt waren.
Viele, sehr viele Kinder dieses Landes aber verbrachten ihre Tage in verrottenden und vergammelten Häusern, und wenn gefragt wurde, warum das so sei, war die Antwort: Es sei nicht genug Geld da, um das zu ändern.
Sicher ist vielen aufgefallen, dass ich noch nicht geschrieben habe, wie dieses Land heißt. Das hat einen Grund, und dieser Grund … Also, festhalten, Leute!, jetzt kommt die schlimmste Nachricht: Ich muss es nicht sagen. Alle kennen diesen Namen.
Illustration: Dirk Schmidt