Getröstet von schönem, weißem Schreibpapier

Wie kommt man vor dem Schlafengehen auf andere Gedanken? Unser Kolumnist liest ein tausend Jahre altes Buch – und findet darin das, was alle gerade dringend brauchen. 

Illustration: Dirk Schmidt

Anfangs habe ich jeden Abend Spezialsendungen über die russischen Kriegsverbrechen gesehen. Seit einer Weile tue ich das nicht mehr. Ich lese schon morgens in der Zeitung davon, dann den ganzen Tag immer wieder im Internet. Ich weiß, was für ein Dreckskerl Putin ist und wie sehr die Menschen leiden. Abends muss ich aber auf andere Gedanken kommen, wie meine Großmutter gesagt hätte. Sonst kann ich nämlich nicht mehr schlafen, und damit ist niemandem geholfen, auch der Ukraine nicht.

Ich werde nach Trost in diesen Zeiten gefragt. Ich sage: Zurzeit lese ich das Kopf­kissenbuch von Sei Shnagon, das war eine Hofdame am japanischen Kaiserhof der Heian-Zeit. Also: Das Buch ist gute tausend Jahre alt und beginnt mit einer Zeile, die – wie ich höre – jeder Japaner kennt: »Im Frühling liebe ich die Morgendämmerung …«