Zu Beginn eines Jahres mit vielen wichtigen Wahlen beschäftige ich mich mit dem Glück im politischen Leben. Betrachten wir aber zunächst das Glück in der Wirtschaft. Interessanterweise geben Spitzenmanager zu, ihr Erfolg sei nicht allein Folge von Leistung, sondern von Glück. Kasper Rorsted, früher Vorstandsvorsitzender der Henkel AG, nun von Adidas, ist der Ansicht, er habe »manchmal das Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein«. Bill Gates äußerte sich ähnlich.
Der amerikanische Ökonom Robert H. Frank hat in seinem Buch Success and Luck geschrieben: »Wir überschätzen systematisch den Einfluss von Ehrgeiz und Begabung - und unterschätzen, wie sehr unser Erfolg an Zufällen, günstigen Gelegenheiten, Glück hängt.« Und der britische Verhaltensforscher Chengwei Liu sagte in einem Interview mit dem Harvard Business Manager, Manager seien so hartem Wettbewerb ausgesetzt, dass jene an der Spitze sehr befähigt seien. Aber: Nach vielen Beförderungen gebe es keine Unterschiede mehr zwischen ihnen. »Sie haben den gleichen Lebenslauf, sie reden gleich, sie kleiden sich gleich, sie waren auf den gleichen Universitäten, sie haben die gleichen Netzwerke und die gleiche Denkweise.« Wenn sie Erfolg hätten, beruhe er allein auf Glück.
Was das politische Leben angeht, fragt man sich, wie es möglich ist, dass unser Weltgeschehen von Trump und Putin bestimmt wird. Gibt es unter knapp einer halben Milliarde Amerikanern und Russen nicht zwei Bessere?
Die Antwort liegt auf der Hand: Natürlich gibt es Bessere.
Aber nicht Glücklichere.
Putin zum Beispiel hatte das Glück, im Leningrad der Sechzigerjahre eine solide Ausbildung zunächst als Straßenschläger, dann als Judoka zu erhalten: Die dort erworbenen Fähigkeiten sind, wie man sieht, auch im internationalen Leben nützlich. Es schloss sich eine Lehre als KGB-Agent an, mit der er die Grundlagen für sein heutiges Projekt Make Russia great again legte, dessen ökonomischer Nutzen für ihn und seine Freunde beträchtlich zu sein scheint, für den Rest der Bevölkerung überschaubar ist, vom Elend in Syrien oder der Ukraine zu schweigen.
Noch mehr verwöhnt: Trump. Von Haus aus mit Geld ausgestattet, ließ ihn das Schicksal in Zeiten von Twitter Politiker werden, und er hatte offenbar das Glück, von einem Spitzen-Geheimdienstler wie Putin und dessen Spionage-Tätigkeit in den Büros der Gegenpartei unterstützt zu werden. Noch dazu profitierte er vom glücklichen Umstand eines Wahlsystems, bei dem man mit mehr als zwei Millionen Stimmen Rückstand auf die Mitbewerberin Präsident wird.
Kurz zurück zur Wirtschaft: Nicht wenige Wissenschaftler raten, wenn so viele Kandidaten an der Spitze gleich befähigt seien, zum Los-Entscheid. Die Intriganz begabter Netzwerker würde ausgeschaltet, Frauen hätten bessere Chancen, auch handelten Menschen sozialer, wenn sie wüssten, dass sie vom Schicksal begünstigt worden seien; ihre Demut würde größer, ihre Neigung zur Hybris geringer. Im antiken Athen und dem Venedig der Dogen sei das Los bei der Auswahl der Führung sehr nützlich gewesen.
Aber in der Politik unserer Zeit?
Bei der US-Präsidentschaftswahl wäre das Projekt schon an der Voraussetzung gescheitert, dass zwei gleich kompetente Kandidaten zur Verlosung hätten antreten müssen, nicht ein komplett ungeeigneter und eine so lala Befähigte.
Aber Bruno, mein alter Freund, sagt, es wäre doch schön, wenn man es andersherum machen würde: zuerst das Los, dann der Wettkampf. Jeder müsste dann damit rechnen, in einem Losverfahren plötzlich in die Politik berufen zu werden, wie ja auch jeder zum Schöffen ausgewählt werden könne. Alle Facebook-Besserwisser, Kantinen-Schwätzer, Frühstückstisch-Strategen: Plötzlich wären sie gezwungen, zur Wahl zu stehen, sich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen, mit der Bundeskanzlerin zu diskutieren. Und am Ende als Gespött zu enden, mit 0,001 Prozent.
Oder: als Amtsinhaber?
Illustration: Dirk Schmidt