Wir leben in Zeiten großer Unverschämtheit

Wenn Jan Böhmermann Trump einen »Kacktyp« nennt, spricht er aus, was Axel Hacke denkt. Aber sollte man das laut sagen?

Mark Twain hat in seinem Leben so viele kluge, pointierte Sätze gesagt, dass ihm auch kluge, pointierte Sätze zugeschrieben werden, die er möglicherweise nie gesagt hat - eine großartige Leistung, die außer Woody Allen nur wenige vollbracht haben. Never argue with stupid people, they will drag you down to their level and then beat you with experience, streite dich nie mit dummen Leuten, sie ziehen dich nur auf ihr Niveau herunter und schlagen dich dann mit ihrer Erfahrung. Ist das wirklich, wie man überall liest, von Twain? Keine Ahnung, einen Beleg habe ich jedenfalls nicht gefunden.

Aber es ist wahr.

Donald Trump, der stupid guy schlechthin, hat kürzlich die Welt ausführlich mit seiner Körpersprache beschäftigt: Hände schüttelnd, Hände nicht schüttelnd, schließlich den montenegrinischen Premier rüde beiseiteschubsend und danach sein Kinn auf eine so triumphierende Weise reckend, dass es selbst einem Gorillamännchen zu doof gewesen wäre.

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Der Satiriker Jan Böhmermann twitterte daraufhin: »… Haha, was für ein debiler, schlecht erzogener Kacktyp.« Das war im Wesentlichen exakt, was ich dachte. Aber ist es auch das, was man in der Öffentlichkeit sagen sollte?

Kacktyp?

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Ich suche einen Parkplatz, schon längere Zeit, finde dann einen, doch jemand nimmt ihn mir, meinen Weg schneidend, in letzter Sekunde weg. Was folgt, ist ein Revierkampf, oder: Könnte es sein. Ich stehe vor der Wahl, mich darauf einzulassen, mich aufzuführen wie ein Eber, in dessen Areal ein anderer eingedrungen ist. Oder ich beschließe, dass ich auf dem Niveau nur verlieren kann, weil man mich mit Erfahrung schlagen wird - und suche weiter, was einerseits blöd sein mag, andererseits wenigstens nicht entwürdigend.

Was ich sagen will: Kacktyp bedeutet, er hat mich schon zu sich heruntergezogen. Ich habe mich auf seine Ebene begeben, in die Welt, in der man Menschen beleidigt, herabwürdigt, verhöhnt. Was ich auch sagen will: Ich bin dafür, einen Lügner Lügner zu nennen und einen Rassisten Rassisten und einen Unfähigen unfähig, wenn das bedeutet, die Wahrheit zu sagen.

Aber in die Gosse steigen, zu den anderen?

Natürlich hat das damit zu tun, dass die sozialen Medien unsere Umgangsformen verändert haben. Diese Orgien von Unverschämtheiten, Pöbeleien, Sudeleien, Dreck, dieses Getröte vom Sofa aus, das auf Facebook und anderswo Alltag ist - das bleibt nicht ohne Folgen. Es verändert den Ton, in dem wir reden. Kacktyp, das war vor fünfzehn Jahren noch undenkbar. Und jetzt? Merkt denn keiner, dass auch das ein Sieg der Trolle, der Provokateure und der Dummköpfe ist?

Emmanuel Macron hat die Hand Trumps gedrückt, bis die Knöchel weiß wurden, das hat die Medien tagelang beschäftigt. Als ironische Geste war es auch nicht schlecht, kann man einmal machen, ein kleines albernes Spielchen. Aber besser gefiel mir seinerzeit dieses lächelnde Dann-eben-nicht-Gesicht von Angela Merkel, als ihr Trump, im Sessel dumpf brütend, den Handschlag verweigerte. Das war souverän und gelassen, so sollten wir sein.

Übrigens ist dieser Satz von Mark Twain (oder wem immer) bestens für Twitter geeignet, wie die meisten guten Aphorismen. Der römische Kaiser Marc Aurel hat in seinen berühmten Selbstbetrachtungen geschrieben: »So oft du an der Unverschämtheit eines Menschen Anstoß nimmst, frage dich alsbald: Ist es auch möglich, dass es in der Welt keine unverschämten Menschen gibt?« Nein, nein, die Unverschämtheit war und ist Teil der Welt. Im Moment steht sie in großer Blüte, wir leben in Zeiten großer Unverschämtheit. Aber das kann nicht bedeuten, dass wir selbst unverschämt sein müssten, im Gegenteil, im Gegenteil.

Illustration: Dirk Schmidt