Was führt Menschen dazu, einmal in einem Pornofilm mitzuwirken oder Sexszenen aus dem eigenen Schlafzimmer aller Welt zur Verfügung zu stellen? Der letzte, von der Bild-Zeitung enthüllte Fall, bei dem es um den Lebensgefährten der Schauspielerin Katja Riemann ging, wirft ein interessantes Schlaglicht auf diese Frage. Da war ein Foto zu sehen, das der Produzent vor Beginn der Dreharbeiten aufgenommen hatte. Es zeigt ein Porträt des künftigen Hardcore-Darstellers, der rechts neben seinem Gesicht einen unterschriebenen Darstellervertrag in die Kamera hält, links seinen Personalausweis. Vollständiger kann man die eigene Identität wohl kaum preisgeben: Dokument, Gesicht und amtlicher Klarname, alles auf einem Bild gespeichert. Vordergründig dient das der notwendigen Rechtssicherheit bei den Dreharbeiten, tatsächlich ist es aber eine Art Bekenntnis, das die eigene Biografie für immer mit diesem Schritt der Selbstentblößung verknüpft: Ich ficke, also bin ich sichtbar.
Männer, die sich so verewigen lassen, werden in der Regel nicht einmal bezahlt. »Gratis und aus purer Lust« würden sie mitmachen, erklärte der Produzent – was nun wiederum nichts anderes als die klassische Definition des Begriffs »Amateur« ist. Bringt man dies mit aktuellen Analysen der weltweiten Sexindustrie zusammen, die drastische Umsatzrückgänge im Geschäft mit Profidarstellern melden und gleichzeitig eine bisher nicht gekannte Flut von Amateurpornografie im Internet, ergibt sich ein bizarres Bild: Der Eintritt ins Hardcore-Geschäft, früher eine unumkehrbare Lebensentscheidung von großer biografischer Tragweite, scheint nur mehr ein Gelegenheitsausflug zu sein, der einfach eine Tür in die Medienwelt öffnen soll – wie das zum Beispiel bei der deutsch-türkischen Schauspielerin Sibel Kekilli geschah.
Um Geld geht es dabei natürlich auch – aber die Tatsache, dass dabei offenbar die volle Identität hinterlegt werden muss, enthüllt vor allem eins: dass die Sache doch etwas zu riskant ist, um einfach nur ein gut bezahlter Gelegenheitsjob zu sein.
Es scheint, als hätte der jahrelange Konsum von Pornobildern noch einen anderen Effekt als jene Wirkungen, die normalerweise diskutiert werden – nämlich ein erstaunliches Veränderungspotenzial im Zusammentreffen einer Videokamera und einer intimen Situation. Am Anfang ihres selbst aufgenommenen und später veröffentlichten Amateursexfilms wirkt die Schauspielerin Pamela Anderson zum Beispiel noch glaubhaft gehemmt vor der (offenbar neu erworbenen) Hobbykamera ihres Ehemanns Tommy Lee. Das wandelt sich dann aber nach kurzer Zeit und wenigen Einstellungen, sie probt eine neue Rolle, die sie eins zu eins von den professionellen Pornodarstellerinnen übernimmt, die sie im Kopf gespeichert hat.
Schon bald ist also eine Performance zu sehen und gerade nicht mehr das, was die Aura des »gestohlenen« und »gegen ihren Willen veröffentlichten« Videobands verheißt, nämlich Einblick in die individuelle Intimität eines wirklichen Paares. Gesteigert lässt sich dieser Effekt auf dem (ebenfalls in Millionenzahl verbreiteten) Sexvideo Paris Hiltons beobachten: Hilton und ihr damaliger Freund, der zwischen den Szenen in Erscheinung tritt und das Geschehen kommentiert, experimentieren zunächst mit der Infrarot-Einstellung ihrer Videokamera, die ohne Licht auskommt und den Körpern eine grünlich-graue Färbung verleiht. Offenbar war die Hobbydarstellerin aber mit dem Ergebnis höchst unzufrieden und bestand auf einem weiteren Dreh, diesmal mit heller Beleuchtung.
Dies scheint in der Ära der allgegenwärtigen Castingshows ein neues Prinzip zu definieren: Der Platz vor einer Kamera ist in jedem Fall besser als eine Existenz ohne jede Aufmerksamkeit – und wenn die Aufnahme einmal läuft, muss auch die volle Leistung erbracht und die bestmögliche Vorstellung abgeliefert werden. So ist jeder Amateurfilm Ausdruck einer gesellschaftlichen Schizophrenie: Neben dem verständlichen Wunsch, solche Bilder später ungeschehen zu machen, existiert genauso eine Sucht nach Sichtbarkeit, die das eigene Enthüllungsfoto auf der Bild-Titelseite immer schon einkalkuliert.