Um etwas über das Steakhouse in Erfahrung zu bringen, muss man sich nur die Lage der Restaurants in den Großstädten vergegenwärtigen. Sie befinden sich inzwischen stets an derselben merkwürdigen Stelle: mitten im Zentrum zwar, in der Nähe der Fußgängerzone oder der größten Einkaufsstraße, doch gleichzeitig etwas abseits und verborgen, im Niemandsland am Rand der Innenstadt. Nicht in Münchens Neuhauser-, sondern in der Schwanthalerstraße; nicht in der Berliner Friedrich-, sondern in der spröden Wilhelmstraße liegen die Lokale, und diese Adressen geben bereits einen ersten Hinweis auf die Atmosphäre, die in ihnen herrscht. Steakhäuser haben ihre beste Zeit hinter sich; die roten Embleme gehören zwar wie der McDonald’s-, der H&M- und der Douglas-Schriftzug weiterhin zum vertrauten Bild jeder deutschen Innenstadt, aber sie sind längst ihr unscheinbarster Baustein geworden. Anfang der siebziger Jahre, als die ersten »Maredo«- und »Asado«-Filialen auftauchten, waren die Eröffnungspartys den Tageszeitungen noch ganzseitige Gesellschaftskolumnen wert. Das Steakhouse erschien als glamouröser Ort und nicht umsonst wurden die Restaurants zumeist in ambitionierten Neubaukomplexen untergebracht, um die Modernität der Küche architektonisch zu unterstreichen. Dreißig Jahre später, angesichts der Fülle von thailändischen, indischen, äthiopischen Lokalen, haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Von den Steakhäusern geht eine Atmosphäre des Biederen, leicht Überkommenen aus; ihr Glanz ist ermattet wie der jener Siebziger-Jahre-Gebäude, die sie beherbergen. Dass das Steakhouse zu einem Nicht-Ort geworden ist, zu einer Autobahnraststätte mitten in der Stadt, zeichnet sich vor allem in der Zusammensetzung des Publikums ab. Wen verschlägt es noch dorthin, an einem Dienstagabend oder am Sonntagmittag um halb zwei? Kein Restaurant, dessen Klientel schwerer zu bestimmen wäre. An den Tischen, gruppiert um die Salatbar und den offenen Grill, sieht man vorwiegend Touristen, die von den Hauptschlagadern des Sightseeing abgekommen sind, und ein paar Seniorenrunden, denen das bare Stück Fleisch, das sie sich hier gönnen, noch Zeichen des Wohlstandes ist. In manchen Ecken jedoch sitzen Gäste, die man nicht erwartet hätte: ein ausgelassenes, eng aneinander geschmiegtes Paar in den Vierzigern; zwei ältere Männer in teuren Anzügen, die sich bei einer Flasche Rotwein konzentriert unterhalten. Beim Anblick dieser Szenen – vielleicht ein heimliches Liebespaar, das noch kurz etwas isst, bevor es im Hotel verschwindet; ein Firmenchef, der gerade eine Führungskraft abzuwerben sucht – wird deutlich, welcher Effekt mit der vollkommenen Unscheinbarkeit der Steakhäuser verbunden ist: Sie sind zu den perfekten konspirativen Orten der Innenstadt geworden. In welchem zentral gelegenen Lokal könnte sich eine Affäre, ein Abwerbeversuch diskreter entspinnen als in einem Restaurant, das nur als Durchgangsstation für Ortsfremde wahrgenommen wird, in das sich kein Bekannter jemals verliefe. Eine Aussage aus dem Umfeld der Hamburger Al-Qaida-Terroristen gerät in Erinnerung, in der es hieß, man habe sich im Vorfeld des 11. September gelegentlich in einem Hamburger Steakhouse getroffen. Nichts könnte den Charakter dieses Ortes genauer bezeichnen.Doch auch wenn man sich den Lokalen nicht wie ein Detektiv nähert – eines steht fest: Es gibt im Stadtzentrum keine verlorenere Stelle, und wer sich fragt, woran das liegt, muss auf den Unterschied zwischen den Steakhäusern und den anderen Gastronomieketten in der Innenstadt aufmerksam machen. Warum haben sich etwa McDonald’s-Filialen, deren Glasfronten und schmucklose Einrichtungen den Status als bloße Durchgangsstation sogar noch betonen, dennoch zu belebten, stundenlang genutzten Treffpunkten entwickelt? Gerade weil sie im Passantenstrom der Fußgängerzonen die richtigen Anlaufstellen sind. Die Trostlosigkeit der Steakhäuser besteht dagegen in dem Versuch, das Heimelige im Flüchtigen zu errichten, die Transparenz der großen Verkehrsstraßen mit karierten Vorhängen zu verhüllen. Diese Kombination zieht allein zwei Kategorien von Gästen an: solche, die sich verlaufen, und solche, die etwas zu verbergen haben.