Die Recherche begann wie im Märchen. Ich saß in Bayreuth in einer Bühnenorchesterprobe zu »Parsifal«, die Inszenierung von Stefan Herheim erzählte die Rezeptionsgeschichte des Werks in Bayreuth nach, von 1883 bis heute. Auf der Bühne standen Nachbildungen des Uraufführungsbühnenbilds, Richard Wagners Bayreuther Künstlervilla, eine Nachbildung der Festspielhausbühne selbst – wie ein Film mit Spezialeffekten, nur eben: alles live und unmittelbar. Im zweiten Akt entrollten sich Hakenkreuzfahnen, ein Nazi-Reichsadler – der nicht aussah wie selbstgebastelt, sondern wie in Bronze gegossen - schwebte aus dem Bühnenhimmel herab und zerbrach kurz danach krachend auf dem Bühnenboden. Wer den Adler gefertigt habe, wollte ich wissen, und erfuhr: »Den hat Jürgen Uedelhoven gemacht«, ein Autobauer aus der Nähe von Ingolstadt. Aus einem Spezialschaum, der in extra große Trümmer zerbricht. Ich nickte – und vergaß es wieder.
Ein, zwei Jahre später sah ich »Lohengrin«, inszeniert von Hans Neuenfels, das Bühnenbild: ein Labor mit weißen, blitzsauberen Wänden, bevölkert von Ratten. Natürlich keine echten, der Chor trug Rattenkostüme mit Vorder- und Hinterfüßen aus Latex, Schwänzen und Rattenmasken mit rot leuchtenden Augen – die per Fernsteuerung ein- und ausschaltbar waren. Wer das alles gebaut und entwickelt habe, wollte ich wissen, und hörte: Uedelhoven. Jedes einzelne Rattenauge hatte einen Wifi-Empfänger zur Steuerung, die Halterung kam aus dem 3D-Drucker. Uedelhoven – den Namen hatte ich schon mal gehört.
Wieder ein paar Jahre später, 2013, inszenierte Frank Castorf den »Ring des Nibelungen« - als Reise auf den Spuren des Öls. Im »Rheingold« fahren die Rheintöchter mit einem Mercedes-Cabrio herum. Das bekannteste Bühnenbild der Inszenierung, ein 13 Meter hoher Nachbau des Mount Rushmore mit den Köpfen von Lenin, Stalin, Mao und Marx in »Siegfried«, hatte Uedelhoven gebaut – mithilfe einer gewaltigen Fräse, vielen Tonnen Polyurethanschaum und neuester 3D-Flächenberechnungs-Software – und mit Maschinen, die sich keine Theaterwerkstatt je leisten könnte. Und: Das Resultat sieht nicht aus wie ein Felsen mit vier Köpfen, die in der Theaterwerkstatt geschnitzt wurde. Sondern: echt.
Sein Geld verdient Jürgen Uedelhoven mit Autos, seine Firma baut Modelle und Showcars im Auftrag der großen Marken und entwirft auch selbst Teile, vom Blinker bis zum Spoiler. Die Oper ist für ihn anfangs eine fremde Welt, die Handwerker in der Schreinerei und Schlosserei beäugen ihn, sie sind es gewohnt, mit möglichst einfachen Mitteln möglichst wirkungsvolle Kulissen zu schreinern, die vom Zuschauerraum aus echt aussehen. Aus Holz und Stahl, Farbe und Pappmaché. Aber Illusion ist Uedelhoven fremd, seine Welt ist geprägt von Präzision und High-End-Materialien.
Es sind nicht viele Häuser, mit denen Jürgen Uedelhoven bislang zusammenarbeitet, aber langsam werden es mehr. Spitzentechnologie trifft auf eine der ältesten und umständlichsten Kunstformen, die es gibt. Wer die Oper für so verstaubt hält wie ihren Ruf, war lange nicht da.
Lesen Sie den gesamten Text mit SZ Plus:
Foto: Fritz Beck