Man muss es mal sagen: Wie sich die Deutschen in der Sauna benehmen, ist in der Welt einzigartig. Dieses pflichtschuldig splitternackte, gemischte und enge Nebeneinander, das so manisch betrieben wird, als wären wir ein gänzlich unverkrampftes Volk, woher kommt das? Andere Völker saunieren ebenfalls gern, zur Not auch in städtischen Anlagen, dann aber entweder geschlechtsgetrennt oder mit gewissem Schamgefühl und entsprechender Minimalkleidung. Hierzulande wird die offen gemischte Frontalnacktheit aber genauso ernst eingefordert wie Heiterkeit an Karneval. In jeder Sauna patrouillieren die gleichen asketischen Altherren und lauern darauf, ob sich jemand ein Handtuch um die Lenden bindet, um dann ihrerseits mit sehr schamlosen Kniebeugen und Dehnübungen die Prüderie anzuprangern. Außerdem wird man hier in der Sauna ständig ermahnt, leise zu sein. Als ob das Herumsitzen mit 22 fremden Nackten bei neunzig Grad im Keller eines städtischen Schwimmbades eine besonders andächtige Übung wäre. Als ob man sich dabei nicht ablenken müsste!
Diese Begleiterscheinungen machen das Saunieren in Gesellschaft hier etwas anstrengend. Kein Wunder, dass die private Sauna im Eigenheim oder im gemieteten Chalet immer noch als Statussymbol gilt. Aber das ist auch nicht das Wahre. Eine Holzkiste stundenlang aufzuheizen, um dort allein neben dem Hobbyraum vor sich hin zu garen, macht einem die Sinnlosigkeit des Vorgangs unangenehm bewusst. Es ist, als würde man allein am Schreibtisch einen Shakira-Song hören – bringt's irgendwie nicht.
Vielleicht ist deshalb das Sauna-Ei, das am Rand der schwedischen Stadt Kiruna aufgebaut wurde, die perfekte Sauna. Nicht nur weil die Architektur stimmig ist: Etwas, das wie eine Mondkapsel (oder eine Mondbirne) aussieht, unterstreicht die Außergewöhnlichkeit des ganzen Vorgangs schon mal besser als irgendein überhitztes Zimmerchen. Da sie etwas außerhalb der Stadt gelegen ist, muss man zudem vorher eine hübsche Wanderung unternehmen. In den glänzenden Paneelen des »Solar Egg« spiegelt sich die arktische Landschaft, was spektakulärer ist, als durch großflächige Schaufenster rosige Leiber beim Übergang von medium zu well done zu beobachten. Acht Menschen finden in dem Ei reihum Platz, die nach schwedischer Sitte die entscheidenden Details ihrer Nacktheit verhüllen, was übrigens die Kontaktaufnahme beim Saunieren erleichtert. Denn die Schweden schwatzen gern beim Schwitzen, und das Solar Egg soll ausdrücklich die Ortsgemeinschaft festigen und die Menschen im Angesicht von Eis und der Finsternis, tja, zusammenschweißen.
Das Ding mit dem spektakulären Innenraum ist eine öffentliche Bastu, wie die Schweden ihre Schwitzhütten nennen (abgekürzt von Badstuga: Badehaus), und es ist ein trojanisches Saunapferd. Denn die Baugesellschaft, in deren Auftrag es die Architekten Bigert & Bergström errichtet haben, will mit dem Geschenk ein wenig darüber hinwegtrösten, dass sie die alte Stadt Kiruna demnächst zerstören wird. 3000 Gebäude der Stadt werden abgerissen und ein bisschen weiter rechts wieder aufgebaut. Jahrhundertelanger Erzabbau in der Region hat nämlich dazu geführt, dass der Boden unter Kiruna mehr Löcher hat als eine alte Dartscheibe, die Stadt könnte bald zwei Stockwerke tiefer sacken. Deshalb ist eine große Umsiedlung im Gange, und das Sauna-Ei soll den 23 000 Einwohnern helfen, den Zwangsumzug etwas besser zu verkraften. Schaffen auch nur die Schweden – aus einer lokalen Bredouille ein architektonisch wertvolles, gemeinschaftsförderndes und irgendwie cooles Projekt abzuleiten.
Das Ei steht für Neuanfang, auch wenn nur ortsbekannte, nackte Schweden daraus schlüpfen. Außerdem ist es so trickreich konstruiert, dass es mit seinen 69 Einzelteilen leicht abgebaut und an anderer Stelle errichtet werden kann, ein Sinnbild für die Mobilität einer ganzen Stadt. Das Solar Egg war auch schon in Paris aufgebaut, um den Franzosen ein bisschen smartes Design und skandinavische Bastu-Kultur nahezubringen. Sie waren, wie man so hört, begeistert von der Installation im sehr hübschen Innenhof des Schwedischen Kulturinstituts. Liegt vielleicht auch daran, dass Franzosen und Schweden ähnlich öffentlich saunieren – mit Restwürde nämlich.
Fotos: Jean-Baptise Béranger