Folge 3: Dorfpunks

Warum Münchner in der Stadt surfen und Berliner im Wald tanzen. Folge 3 der Anti-München-Kolumne: Freizeitgestaltung.

Am Samstag bin ich die Isar entlang geradelt. Schön war das, die grünen Bäume, das grüne Wasser. Plötzlich tauchten in der Mitte des Flusses vier Gestalten auf. Es waren Angler! In der Stadt!

Fliegenfischer, um genau zu sein. In hüfthohen Gummistiefeln wateten sie durchs Wasser und schwangen dabei ihre Ruten wie der Kutscher seine Peitsche. Die Westen, die sie trugen, hatten die Farbe des Ufergestrüpps, und in ihre Gesichter hatten sie riesige dunkle Sonnenbrillen gesetzt, deren Gläser in kleinen Dreiecken noch über die Bügel ragten. Der Anblick erinnerte mich an TV-Dokumentationen über Kanada. Oder Typen, die man auf dem "Männer-Fernsehsender" Dmax zu sehen bekommt. Auf dem Rückweg fielen mir dann die Moutainbiker auf. Die Farbe ihrer Sturzhelme hatten sie adrett mit der ihrer Trikots abgestimmt. Auf dem Radweg donnerten sie an mir vorbei. Später sah ich noch zwei Jungs in Neoprenanzügen die Prinzregentenstraße entlang spazieren, die Surfbretter lässig unter den Arm geklemmt.

Als ich darüber nachdachte, hatten die Fliegenfischer und Mountainbiker und Surfer zwei Dinge gemein. Sie alle trieben Sport mitten in der Stadt, und sie alle waren dafür auch bestens ausgestattet: mit Funktionskleidung.

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Funktionskleidung ist nicht wirklich schön, sondern praktisch, und gibt dem Großstadtmenschen das beruhigende Gefühl, in der Natur auch bei widrigsten Bedingungen zu bestehen. Man bekommt sie für viel Geld im Fachgeschäft und holt sie normalerweise nur für den nächsten Abenteuerurlaub aus dem Schrank. In der Stadt ist sie dagegen so übertrieben wie ein SUV.

Wenn nun die Münchner, die auch gerne SUVs fahren, ihre Funktionskleidung mitten in der Stadt an einem ganz normalen Samstag tragen, dann bedeutet das nicht nur, dass sie zu viel Geld haben, sondern auch, dass sie den Lebensraum Stadt im Grunde ihres Herzens ablehnen. Denn eigentlich würden sie lieber am Waldbach angeln, in den Bergen Rad fahren oder im Meer surfen, als mit asphaltierten Wegen oder dem Eisbach vorliebzunehmen.

Berliner bilden dazu vielleicht die Gegenthese. Etliche von ihnen verbringen ihre sonnigen Samstage am liebsten auf Technopartys an irgendeinem See oder in irgendeinem Park. Nicht das Naturerlebnis wird hier in der Stadt gesucht, sondern das Stadterlebnis in der Natur. Die Menschen tragen daher auch keine Jack-Wolfskin-Jacken zu Wanderstiefeln, sondern Jeans und Sneakers - Streetwear also, im Wortsinne Straßenkleidung, wo es gar keine Straßen gibt.

Ich persönlich bin ganz gerne in der Stadt. Und an diesem Samstag kam ich zufällig mit einen Münchner ins Gespräch, dessen Stempel auf der Hand ihn als Clubgänger auswies. Ich fragte ihn also, ob es denn auch hier so etwas gibt: Technopartys unter freiem Himmel. Er sagte "Ja!", und dass er von einer Party wüsste, die heute in der Nähe von Eichstätt stattfinden würde, unter irgendeiner Brücke, die "Adolf Hitler Brücke" genannt wird. Eichstätt ist etwa 100 Kilometer von München entfernt, habe ich später herausgefunden.

Ich glaube, man sollte in München einfach Angler werden.