Eigentlich wollte ich diesmal über die schönen Seiten von München schreiben. Ich bin jetzt fünf Wochen hier, und ein paar Dinge haben mich schon positiv überrascht. Der alte Herr zum Beispiel, der mir ein ziemlich schickes Secondhand-Rennrad für ziemlich wenig Geld verkauft hat. Oder der Club-Mate-Kiosk in Haidhausen. Das Wort "Spezl". Das Getränk "Spezi". Die Dame vom Gärtnerplatz, die leere Bierflaschen sammelt und volle verkauft, aus der Tengelmann-Tüte heraus, unter der Hand, wie die Pakistaner in Barcelona. Regensburger Würstchen. Wurstsalat. Überhaupt die Fleischauswahl im Supermarkt, die noch umfangreicher ist, als ich erwartet hatte. Aber dann habe ich mir mal die Kommentare zu dieser Kolumne durchgelesen.
"Was erlauben sich SZ?"
"Nicht witzig, nicht tief- oder hintergründig, nicht informativ, nicht ansprechend."
"Unprofessionell!"
"Sie sollten aufhören, sich als Journalist zu betiteln, denn dazu ist Ihre Schreibweise eine Beleidigung für die Zunft."
"Den Personalverantwortlichen der SZ bitte mal zu mir ins Büro, aber SOFORT!!"
"Warum gehen Sie nicht wieder zurück nach Berlin"
"Ab nach Kreuzberg, lass Dir erst Dein Fahrrad klauen, und / oder ein paar Steine um die Ohren fliegen."
"Berlin erinnert mich jedesmal an einen Nachmittagstalk bei RTL. Eine für Ossiland typische Mischung aus Prolls, Nazis, Laubenpiepern und anatolischen Bäuerinnen."
Junge, was ist hier denn los? Kommt das vom Weißbiertrinken? Ich bin in Bielefeld aufgewachsen, weiß also, wie es sich anfühlt, wenn sich Fremde ständig über die eigene Stadt lustig machen. Aber hieß es nicht, dass wir Deutschen seit der Fußball-WM ein entspannteres Verhältnis zur Heimat hätten? Entspannt nicht nur im Sinne von Fahnenschwenken, sondern auch: sich selbst nicht so ernst nehmen? Für überzeugte Münchner und ihr Verhältnis zur Heimatstadt gilt das anscheinend nicht. "Wer stolz ist, der ist auch grob", sagt ein Sprichwort, und ich will mich da gar nicht beschweren, schließlich habe ich ja mit der Städtediskussion angefangen (und muss nun auch die Kritik ertragen). Aber übertriebener Stolz, der sich in verbohrtem Lokalpatriotismus ausdrückt (auch schön zu beobachten an den "Freistaat Bayern"-Schildern in Münchner Vorgärten oder der Kündigung von Jürgen Klinsmann für Platz 3 in der Tabelle), gepaart mit Garstigkeit, ist nun ausgerechnet ein Charakterzug, den man im Rest des Landes von Münchnern erwartet, der gerade nicht überrascht.
Und oftmals dient übertriebener Stolz auch nur dazu, ein Gefühl der Minderwertigkeit zu überspielen. Von aggressiven, blökenden Fußballfans kennt man das, die außer der Begeisterung für ihren Verein nicht viel Begeisterung im Leben erfahren. Und "derartige Minderwertigkeitskomplexe", schreibt ein Leser in einem Kommentar ganz zu recht, "stehen einer Weltmetropole wie München nun wirklich nicht."