Folge 1: Der erste Tag in München

Als unser neuer Kollege das Angebot bekam, für die SZ zu arbeiten, fiel ihm nur ein Argument dagegen ein: der Umzug von Berlin nach München. Er teilt die gängigen Vorurteile gegen München: zu teuer, zu langweilig. Ab jetzt berichtet er hier regelmäßig über sein Leben in der ungeliebten Stadt.

Manche Menschen mögen keine Artischocken. Oder Wolle auf nackter Haut. Oder Achselhaare bei Frauen. Ähnlich verhält es sich bei mir mit München. Jedes Mal, wenn ich an die Stadt denke, verspüre ich eine tief sitzende Abneigung in mir.

Ein Beispiel vom letzten Wochenende: Auf einem Flughafen im Ausland habe ich mich mit einem jungen Israeli unterhalten. Da mein Englisch nicht nach Engländer klang, fragte er mich woher ich komme. Ich sagte Deutschland. Er fragte mich aus welcher Stadt. Ich zögerte. Dann antwortete ich mit ein wenig Stolz in der Stimme und obwohl es zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr der Wirklichkeit entsprach: aus Berlin. Warum konnte ich nicht "München" sagen? Warum mag ich diese Stadt einfach nicht? Zuerst fallen mir da natürlich die Menschen ein. In meiner Vorstellung gibt es zwei Sorten Münchner: die Verrückten, die aus dem Umland stammen, merkwürdige Trachten tragen und eine Sprache sprechen, die ich nicht verstehe; und die Schnösel, die schon mit rosa Polohemden und in Segelschuhen auf die Welt gekommen sind. In meiner Vorstellung teilen sich diese beide Gruppen einen Wesenszug, den ich mit Abstand am irritierendsten finde: den bayerischen Ordnungssinn. Diese krasse Form der Über-Ich-Fixierung, die dazu führt, dass man auf pedantisch gereinigten Straßen Menschen beobachten kann, die auch nachts um drei nicht bei Rot über die Ampel gehen.


Natürlich ist es langweilig, über diese Dinge zu schreiben, weil sie als Vorurteile hinlänglich bekannt sind. Das Problem ist nur: Was mache ich, wenn sie der Wahrheit entsprechen?

Hier nur mal zwei Vorkommnisse, die sich an meinem ersten Tag in München tatsächlich abgespielt haben:

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Nummer eins fand sogar 250 Kilometer vor München statt. Ich saß im Auto, die CD war am Ende und das Radio sprang an. Eine Männerstimme sang von einem Huhn und einem Hahn, wie er sie bezirzt und wie sie sich schließlich verlieben. Auf der Digitalanzeige stand "Bayern 2".

Als ich dann abends in meiner WG ankam, in der ich zur Zwischenmiete wohne. erzählten mir meine neuen Mitbewohner von ihrer Einweihungsparty vor ein paar Wochen. Den Nachbarn hatten sie prophilaktisch eine Packung "Merci" vor die Tür gelegt. Meine Mitbewohner sind liebenswerte Menschen (sie kommen nicht aus München). Man kann sich nur schwer vorstellen, dass sie wahnsinnig über die Stränge geschlagen sind. Die "Merci"-Packung kam trotzdem zurück. Sie hängt jetzt im Flur. Der Nachbar hat mit schwarzem Edding darauf geschrieben: "Heute Nacht habt ihr euch keine Freunde gemacht! Darauf können wir verzichten!"

Den Israeli auf dem Flughafen habe ich übrigens nicht komplett angelogen. Ich habe die vergangenen Jahre in Berlin gelebt, und als Zugezogener findet man die Rotzigkeit der Hauptstadt vielleicht noch ein bisschen bewundernswerter als die Berliner selbst. Mit dem Israeli, der mal ein Wochenende in Berlin verbracht hatte, war ich mir da einig. Er blickte mich nur mit wissenden Augen an. Dann raunte er. "Ahh, best city in europe." Als Münchner, da bin ich mir sicher, wäre mir das nie passiert.