Emanzipation hin, Angleichung der Geschlechterrollen her – beim Grillen herrschen die alten Verhältnisse: Männer kümmern sich um das Fleisch, Frauen um den Salat. Diese Rollenklischees sind kaum zu zerstören, weil sie immer wieder reproduziert werden, zum Beispiel in der Werbung. Schon bei Kindern teilt sich die Welt in rosa Pudding für Mädchen und einen Piratenpudding mit blutroter Erdbeerfarbe für Jungs. »Gendermarketing« nennt man das. Männer sind in Werbespots inzwischen zwar häufiger in der Küche anzutreffen als vor 20 Jahren, aber sie werden meist als sympathische Tollpatsche gezeigt, die nicht mal ein Spiegelei braten können, und dann sehr froh sind, wenn sie ein Fertiggericht parat haben. So werden Geschlechterrollen zementiert. Beim Grillen kommt vieles zusammen, was man Männern zuordnet: sich dreckig machen; das offene Feuer bändigen; die Gefahr bannen; der Mut,
den es dazu braucht. Dazu gilt Fleisch als männliches Gericht, als »harte« Speise: Ohne physische Gewalt kein Fleisch, idealerweise ist es auch nach dem Grillen innen noch blutig, man kann seiner nur mit einem scharfen Messer Herr werden.
Auf Fisch oder Gemüse trifft das alles nicht zu. Die Art, wie wir uns ernähren, bestimmt bis heute einen Teil unserer geschlechtlichen Identität: Früher war Fleisch selten, also ein Privileg. Tiere opferte man den Göttern, dem sozial Höchststehenden stand das größte Stück Fleisch zu. Und der war immer der Mann. Neue wissenschaftliche Untersuchungen legen jedoch nahe, dass das Bild vom Mann als Jäger und von der Frau als Hüterin des Hauses so nicht richtig ist. Männer und Frauen gingen zunächst gemeinsam auf die Jagd. Das bedeutet aber, dass keine evolutionären Hinweise existieren, die erklären, weshalb Männer rotes Fleisch lieber mögen sollten als Frauen. Erst später, als irgendwann die Jagdbestände schrumpften und Treibjagden nicht mehr möglich waren, mussten die Jäger sich anpirschen. Kleine Kinder, die noch nicht still sein konnten, und weniger mobile Frauen störten dabei nur. Männer gingen also allein auf die Jagd, und ihnen stand das Fleisch zuerst zu. Auch dieses Verhalten hat uns geprägt.
Dass Frauen weniger Fleisch essen, hat auch soziokulturelle Gründe: Bestellt sich eine Frau im Restaurant ein Eisbein, so gilt sie als maßlos, man unterstellt ihr mangelnde Selbstbeherrschung. Auch wenn Frauen blutiges Fleisch genauso gern essen wie Männer – sie essen es nicht gern in der Öffentlichkeit. Bestellen sie dagegen einen Salat, gehen sie sicher, keinen befremdeten Blicken ausgesetzt zu sein.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Ladysteaks immer besonders klein sind, Cowbowsteaks aber meist riesig.
Frauen interessieren sich früh für Ernährung, weil man auch das von ihnen erwartet. Mädchen bringt man bei: Du musst verzichten können. Das Lob »Du bist ein guter Esser« gilt nämlich nur für Jungs. Mädchen sehen in der Regel sehr früh, dass ihre Mutter eine Diät macht, ihr Vater nicht. Und ihre erste eigene Diät ist oft der Initiationsritus für den Beginn der Pubertät. Bis ins 19. Jahrhundert legte man Frauen nahe, nur bestimmte Speisen zu essen, nämlich weibliche. Darunter verstand man weiche Nahrung, die wenig physischen Aufwand beim Kauen erfordert – Brei, Joghurt, Gemüse, auch Süßspeisen. Also kein Fleisch. Fleischlose Ernährung galt als friedfertig und deswegen als weiblich. Und bis heute tragen weiche und süße Gerichte weibliche Namen wie »Forelle Müllerinart« oder »Birne Helene«.
Obwohl Fleisch heute quasi für jeden verfügbar ist, essen es zwar 50 Prozent der 18- bis 24-jährigen Männer täglich, aber nur 18 Prozent der Frauen. Männer zählen auch keine Kalorien oder machen Diäten, es erschiene ihnen unmännlich; sie hauen rein und essen alles, was ihnen schmeckt. Wenn sie glauben, zu sehr geschlemmt zu haben, gehen sie anschließend eben ins Fitnessstudio. Männer begreifen ihren Körper als Werkzeug. Fast überall findet man Belege dafür, wie sehr Essen und Geschlecht miteinander verwoben sind: In Steakhäusern ist das Ladysteak immer klein, das Cowboysteak groß. Es gibt Gerichte, die heißen »Strammer Max« oder »Jägerschnitzel«. Wir assoziieren damitEigenschaften wie fest, scharf und feurig.
In Frankfurt zum Beispiel steht ein Imbiss, der Currywürste in verschiedenen Längen und mit verschiedenen Schärfegraden anbietet. Das beginnt mit »Schlappschwanz«, reicht über »Weichei« bis »Echter Mann«. Das erste Totalbesäufnis steht für viele Jungs am Beginn der Pubertät, eine Art Initiationsritus – harte Getränke für harteJungs. Die Werbung für Burger, aber auch für anderes Fleisch, richtet sich fast immer an Männer, und oft wird das Fleisch, das man isst, gleichgesetzt mit einer nackten Frau. Jüngstes Beispiel ist die Werbung für »Bruzzzler«, also Grillwürste, mit Dieter Bohlen. Während er sagt: »Ich steh auf gebräunt und knackig «, geht eine Frau im Bikini an ihm vorbei, der er nachschaut. Zum Schluss geht die Frau nochmals an ihm vorbei. Da sagt er: »Mann, is das ne Wurst.«
Die Soziologin Jana Rückert-John forscht und lehrt an der Universität Hohenheim über Ernährung, Nachhaltigkeit und soziale Geschlechterrollen.
Fotos: Camillo Büchelmeier und Sorin Morar Foodstyling: Jörg Sellerbeck