Gold wert

Seitdem Chinesen, Russen und Inder auf den Weinmarkt drängen, steigen die Preise für Bordeaux in absurde Höhen.

Die Preise im Bordeaux haben wieder fliegen gelernt. Im Vorabverkauf des Jahrgangs 2005, der traditionellen Subskription, kostete ein imageträchtiger »Mouton« bei einem als anständig bekannten deutschen Händler 479 Euro. Für einen »Margaux« waren schon 625 Euro hinzublättern und der als Jahrgangsprimus hochgejubelte »Ausone« war für 799 Euro zu ordern. Die Superdiva »Château Pétrus« überstieg gar die Tausend-Euro-Grenze. Wohlgemerkt: nicht die 12er-Kiste, sondern ein einzelnes Fläschchen Wein. An Käufern herrscht dennoch kein Mangel. Schon zur Jahreswende hatte die große Wallfahrt ins Bordeaux begonnen, wo sich neben west- und mitteleuropäischen Händlern zunehmend auch Chinesen, Russen und Inder um die Jahrgangsbeute raufen. Professionelle Vorkoster und Weinjournalisten waren sich schnell einig, dass hier ein phänomenaler Stoff in den Eichenfässern reifte. Starönologe Michel Rolland rief den 2005er sogleich zu einem Jahrgang aus, der »in die Geschichte eingehen wird«, vergleichbar allenfalls mit den legendären Tropfen von 1961 oder 1982.

Weinmacher François Mitjaville (Château Tertre Rotebœuf) erklärte das Traubenmaterial zum Besten, was er in dreißig Jahren Arbeit jemals in den Händen hielt. Beim Großimporteur Vinum AG sprach man vom »vielleicht besten Jahrgang in der gesamten Geschichte von Bordeaux«. Solche Vergleiche sind zwar grober Unfug, weil kein Mensch alle Weine bis zum Mittelalter überblicken kann. Aber sie sind fester Bestandteil des großen Hypes um einen tatsächlich exzellent ausgefallenen Jahrgang. Siebzig Sonnenstunden mehr als im Schnitt der letzten 30 Jahre, gepaart mit einer ausreichenden Wasserversorgung und den begehrten kühlen Nächten haben in den zuckerschweren Trauben des Spätsommers 2005 die Aromen, Gerbstoffe und Säuren in idealer Weise konzentriert. »Viel Fett, viel Fleisch, aber auch ganz viel Finesse«, beschreibt der Bremer Bordeauxspezialist Heiner Lobenberg den »besten Jahrgang, den ich jemals probiert habe.« Dass die Preise kräftig anziehen würden, war für Lobenberg deshalb keine Überraschung. Das Ausmaß der Rallye hat ihn dann doch staunen lassen. Preisaufschläge von satten 50 Prozent waren eher die Regel als die Ausnahme, manche Châteaus verdoppelten oder verdreifachten ihre Tarife. Möwenpick-Einkäufer René Gabriel ließ per Internet die Weinöffentlichkeit täglich an den Offerten der französischen Zwischenhändler teilhaben und sparte nicht mit gehässigen Kommentaren – »der Wahnsinn lässt grüßen«. Wie Börsenkurse flimmerten die Angebote der Négociants über die Bildschirme. Je berühmter der Weinadel, desto horrender der Preis.  Ein mitfühlender Schweizer Kunde schlug Gabriel vor, er möge doch bitte den 2005er Mouton für 99 Franken im Parfümflakon zu zehn Millilitern anbieten, inklusive »Zerstäuber für den sparsamen Umgang«. Weinfreunde, denen es um Trinkspaß und Geschmack statt um Prestige und Etiketten geht, haben sich längst verabschiedet von diesem Spiel. Sie trinken zwar noch Bordeaux, aber nicht mehr die sündteuren Grand Cru Classés oder die nur wenig preiswerteren Güter der zweiten Liga. Warum auch? Abseits der Renommier-Châteaus gibt es schließlich gerade im Bordeaux wunderbare Weine zu erstaunlich günstigen Preisen. Auch unter Weinhändlern nimmt die Zahl der Kritiker zu, die verstärkt in den Randlagen und unbekannteren Appellationen des weltweit größten Qualitätsanbaugebiets nach guten Winzern suchen. Dort gibt es noch echte Familienbetriebe, während das Big Business bei den Stars von Pauillac, St. Estèphe, St. Emilion oder Pomerol vor allem von Versicherungskonzernen und Banken dirigiert wird. Einfache Besucher werden an der Eingangspforte wie Hausierer behandelt. Martin Kössler, streitbarer Weinmaniac vom Nürnberger Weinhaus Kössler & Ulbricht, wettert schon seit Jahren gegen die ungehemmte Preistreiberei im Bordeaux. Die vernünftigen Leute, sagt er, seien längst ausgestiegen. Für Kössler ist klar: »Es gibt keinen Wein auf dieser Welt, der 800 oder tausend Euro Wert ist.« Aber den Käufern geht es auch gar nicht um den Wein, sondern um den Namen: Rolls-Royce, Rolex und abends ein Glas Pétrus. Teurer Bordeaux, sagt Kössler, sei zudem der ideale Wein für Ahnungslose, die sich hinter klingenden Namen verstecken. Was Kössler und andere Kritiker besonders fuchst: Gerade Bordeaux könnte eigentlich ein preiswertes Gewächs sein. Anders als an der Mosel oder im portugiesischen Duero-Tal, wo sich die Winzer mit viel Handarbeit in den Steillagen den Buckel krumm schuften, ist das Gebiet zwischen Gironde, Garonne und Atlantik weitgehend platt und mit Maschinen leicht zu bewirtschaften. Kein Weinberg, nirgends. Schätzungen zum Selbstkostenpreis eines ambitionierten großen Bordeaux beginnen denn auch bei 15 Euro. Selbst wenn man das Doppelte veranschlagt, bleiben etwa bei einem Château Margaux für den Jahrgang 2005 noch traumhafte 2000 Prozent Gewinn. Margen wie beim Heroinhandel. Dennoch scheinen die meisten Händler auch diesen Preis zu akzeptieren. Sie haben allerdings auch keine Wahl, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. Für jeden, der sich bei der Zuteilung der raren Tropfen zurückzieht, liegen schon drei Konkurrenten auf der Lauer, die beim Einkauf der mystifizierten Holzkisten bisher nicht zum Zuge kamen. Im Bordeauxgeschäft, sagt Weinhändler Lobenberg, gelte eine eiserne Regel: Wer bei den großen Namen einmal draußen ist, kommt schwer wieder rein. Und die Menge der zugeteilten Spitzenweine ist ohnehin äußerst gering, manchmal nur ein paar Kisten. Weinhändler Lobenberg sieht das alles inzwischen sehr gelassen. Er macht den größten Teil seines Umsatzes ohnehin im mittleren Preissegment. 12 bis 40 Euro – da macht Bordeaux noch richtig Spaß.

Vier interessante Bordeaux vom legendären Jahrgang 2005 zum fairen Preis: 2005 Château Calon, St. Georges (bei St. Emilion), 17,70 Euro, Weinhandlung Kreis, Stuttgart; 2005 Bel-Air La Royère, Côtes de Blaye, 14,90 Euro, Weinhandlung Kössler & Ulbricht, Nürnberg; 2005 Cambon La Pelouse, Haut-Medoc, 13,90 Euro, Weinhandlung Gute Weine Lobenberg, Bremen; 2005 Château Fontenil, Fronsac, 25 Euro, Weinhandlung Franz Keller, Oberbergen. Die Weine werden Ende 2007 bzw. Anfang 2008 ausgeliefert.