Nein, keine Sorge, wir haben schon noch alle Tassen im Schrank, und unser Sohn heißt nicht Henriy. Sondern ganz einfach Henry, ohne Zusatz-»i« und ohne sonst welche Sperenzchen, auch wenn sich das auf seinem kleinen Armband aus der Geburtsklinik anders liest. Im Kreißsaal war es so, dass die Hebamme uns, als Henry ein paar Minuten auf der Welt war, fragte, wie der Kleine denn heißen solle. Worauf wir die Antwort mit einer kurzen Zusammenfassung der Argumente verknüpften, warum wir die Schreibweise mit y der Variante »Henri« vorziehen. Mag sein, dass unsere Hebamme nicht richtig zuhörte, mag sein, dass wir angesichts der epochalen Ereignisse in diesen Minuten nicht auf der Höhe unseres Sprachvermögens waren, jedenfalls schrieb sie dann »Henriy« aufs Bändchen und auf diverse Papiere, und so kam es, dass Henry seine ersten paar Tage als Henriy verbrachte.
Bemerkenswert daran war nicht zuletzt, dass es im Krankenhaus keine einzige skeptische Nachfrage gab. Offenbar sind die mit Geburt und Namensgebung befassten offiziellen Stellen mittlerweile einiges gewöhnt – kein Wunder in Zeiten, in denen Jungs Jimi Blue Ochsenknecht heißen oder Johan Riley Fyodor Taiwo Samuel Klum. Wobei: Es wäre unehrlich zu behaupten, dass bei uns die Namenssuche völlig frei war von dem Gedanken, einen möglichst einzigartigen, wunderschönen, herausragenden Namen für unser einzigartiges, wunderschönes, heraus-ragendes Baby zu finden. Im Grunde genommen war die Suche danach neun Monate lang unsere zentrale Beschäftigung. Und Kriterium Nummer eins war selbstverständlich, sich fernzuhalten von allem, was in den jährlichen Hitlisten der beliebtesten Vor-namen auftaucht. So schieden, trotz grundsätzlicher Sympathie, Na-men wie Tim, Maximilian oder das große Trio Lukas/Lucas/Luca schnell aus (was im Falle Lukas durchaus ein bisschen schade war, weil es – Lukas Podolski! – eine hübsche Anspielung auf den WM-Sommer 2006 hätte sein können). Geeignete Fußball-Alternativen drängten sich nicht auf, wobei ja stets in Rechnung zu stellen ist, dass sich manches, sagen wir Zinédine, ohnehin verbietet, wenn man mit Nachnamen Müller heißt.
So gingen die Monate dahin, und im Grunde ging es in all der Zeit darum, aus der großen Ursuppe aller denkbaren männlichen Vornamen mal diesen, mal jenen emporsteigen zu lassen, auf dass er ein paar Runden in unseren Gehirnen drehe – und am Ende doch wieder mit dem Siegel für zu leicht, zu schwer oder auch zu normal befunden entlassen werde ins große Namensreservoir. Es war wie bei der Weinprobe: Man nimmt einen Schluck, lässt ihn im Mund kreisen, so richtig schmeckt er einem nicht, man schluckt ihn runter, wechselt zum nächsten, doch der ist es auch noch nicht.
Und außerdem hätten wir uns das sowieso alles schenken können, denn in Wahrheit war immer klar, dass der Nachwuchs Henry heißen würde. Die ganzen Monate, die er im Bauch war, nannten wir ihn schon so, das hatte sich einfach ergeben, wir bezeichneten dies als »Arbeitstitel«. Wir sprachen den Namen lautmalerisch aus, überlegten, ob er auf einem i enden sollte (was dem Kleinen eine grandiose Karriere als Verleger und Publizist vorzeichnen könnte) oder auf y (was ihn eher zum Literaten, vielleicht aber auch zu einem Automobilentwickler, Schauspieler oder Boxer machen würde).
Und in der Zeit passierte zweierlei. Erstens: Wir merkten, dass wir uns so an diesen Namen gewöhnt hatten, dass kein anderer mehr ernsthaft eine Chance hatte. Doch zweitens registrierten wir mit einer gewissen Sorge auch, dass wir unseren ungeborenen Henry vielleicht zu sehr in die Henry-Ecke drängten, ohne ihn überhaupt jemals gesehen zu haben, ohne ihm überhaupt die Chance zu geben, den Namen zu bekommen, der zu ihm wirklich passt.
Dann kam der Moment, als er auf die Welt kam. Er war da – und er sah aus wie Henry. Hatten wir’s nicht gleich gewusst?
Lesen Sie auch den Text unseres Kollegen Jan Heidtmann, der sich Gedanken über den Namen seiner Tochter machte.