Igittigitt, die küssen sich

Ein Kuss oder eine harmlose Umarmung reichen schon, dass der Teenager-Sohn unserer Autorin beim Fernsehgucken erstarrt. Und ihr geht es, obwohl nicht prüde, ganz genauso. Wird das für immer so bleiben?

Foto: Grafikplusfoto/Fotolia.de

Kürzlich, wir wollten mal wieder gemeinsam was machen, latsche ich mit meinen Jungs, 13 und 15 sind sie, an die Kinokasse und die Kassiererin sagt: Nee, geht nicht, Das Flüstern des Wassers ist erst 16! Sprachlos stehe ich vor der Frau und spule vor meinem inneren Auge den Trailer des gerade erst mit vier Oscars prämierten Films ab: niedliche Putzfrau, biedere Sechzigerjahre-Ästhetik mit steppenden und trällernden Leutchen in Tweedsakkos und Haarreifen, dazu ein trauriges Wasserwesen in einem, wie es heißt, »surrealen Märchen«. Wenn’s unbedingt sein muss, hatte mein Großer gesagt und dann umgehend seine Kopfhörer aufgesetzt, er hört da auch Zeilen wie die des hochdotierten Rappers Kollegah: »Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick’ sie, bis ihr Steißbein bricht.« Der Kleine hört so was nicht, er ist ein Romantiker, aber wie immer fragte er vor dem Ausflug zum Kino: Wie lange dauert das?

Im Nachhinein bin ich froh, dass sie uns nicht in den Film gelassen haben! Nicht wegen des »Monsters«, sondern weil wir, vor allem mein jüngerer Sohn und ich, total verklemmt sind. Wenn wir in einem Film zusammen Sexszenen ansehen müssen, möchten wir beide in den Erdboden versinken. Es geht natürlich nicht um heiße Action, es reicht ein dollerer Kuss, eine leidenschaftliche Umarmung, der vollbekleidete Fall in die Horizontale, der begehrliche Blick auf halb entblößte Körperteile: stinknormales Film- und Fernsehprogramm, wie es einem andauernd unterkommt, total harmlos. Doch selbst bei solchen Szenen merke ich, wie mein Sohn sich verspannt, und halte auch selbst die Luft an. Tu so, als würde es mich null tangieren. Und hoffe, dass es so schnell wie möglich vorbeigeht. Und wenn er, wie schon bei einer simplen Kussszene in der Jungs-WG im KiKa vorgekommen, ruft: Was machen die denn da? Ist ja pervers! Die kennen sich doch gar nicht! – Dann sage ich, als wäre es das Normalste von der Welt: Das ist doch nur Sex.

Ja, so einfach könnte das sein. Wir könnten ganz unverkrampft zugucken und dann sagen, na sowas, die machen es so und andere so und man könnte auch so, Hauptsache, alle haben Spaß dran und Sex ist noch was ganz anderes als was wir Erwachsenen euch im Sexualkundeunterricht, wo es um Fortpflanzung und Geschlechtskrankheiten geht, erzählen; und was ihr durch manche Medien davon mitbekommt, Broke-Ass-Bitches und ein Wasserwesen, das aussieht, als wäre das best-definierte Unterhosenmodell der Welt in das Kostüm eines Monsters geschlüpft. Aber nein, so einfach ist es anscheinend nicht – vor allem nicht in der Familie.

Meistgelesen diese Woche:

Meine Schwiegereltern zum Beispiel fallen mit meinem jüngeren Sohn in eine Art Abwehr-Kanon ein, wenn sich in einer Vorabendserie zwei küssen:

Schweinkram, ruft die Oma.
Pervers, der Enkel.
Uhhh huhuh, schluchzt der Opa.

Als ich die Mutter meines damals neuen Freundes, Jahre ist es her, zum ersten Mal »Schweinkram« rufen hörte, erschrak ich sehr. Wo war ich da reingeraten? Wie sind die zu ihrem Sohn gekommen?

Neulich war ich bei meinen Eltern, sie sind weit über 70 und auch ich bin schon lang über 18, wir haben einiges zusammen erlebt und über vieles offen gesprochen, Gesellschaft, Beziehungen, diese wahnsinnig verklemmte und doppelzüngige Sexualmoral von amerikanischen wie muslimischen Retro-Fundamentalisten... und jetzt guckten wir den Bergdoktor. Der Bergdoktor ist kurz davor, sich mit seiner Dauerflamme zu versöhnen, sie wartet in einem Hotelzimmer auf ihn, man riecht quasi die Lust, er öffnet die Tür und ich dachte: Hoffentlich dauert das jetzt nicht zu lang! Wenn die knutschen, wenn sie jauchzen und sich die Kleider von den Leibern reißen. Ich schielte zu meinen Eltern rüber: Die guckten stur geradeaus auf den Bildschirm, als wäre nichts. Dabei wusste ich genau, dass sie jetzt die Luft anhalten und sich ziemlich unwohl damit fühlen, mit ihrer Tochter anderen dabei zuschauen, wie sie intim werden. Selbst wenn es nur der Bergdoktor ist!

Kein Mensch, den ich gefragt habe, guckt gern mit den Eltern anderen beim Sex zu. Filme und Fernsehsendungen funktionieren eben als Projektions- und Identifikationsmaschine, wenn da einer knutscht, denkt man unbewusst: wie schön, will ich auch! Geht aber nicht mit den Leutchen hier, also kommt es zur klassisch freudianischen Reaktion: Ekel!

Wird das jetzt immer so bleiben? Als Mutter mit dem Sohn und als Tochter mit dem Vater Sexszenen zu gucken, kann tendenziell unbehaglich bleiben, denke ich. Augen zu und durch. Allerdings wird man mit dem Älterwerden cooler. Und man kann sich ja auch einfach mal zurückziehen. Meine Männer gucken dann einen Abend lang American Pie und ähnliches und wirken dabei erstaunlich unverkrampft. Und über Sex reden, das bestätigen sogar Sexualforscher, Jugendliche eh lieber untereinander als mit ihren Eltern.